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bis 2004 Titel

Inhalt  (alle Beiträge bis 2004 aus zserinnyen)

            -    Sozialabbau moralisch betrachtet 

            -   Eine aktualisierte Vorbemerkung zu den "Acht Thesen..."

            -   Acht Thesen zum Terror gegen die USA

            -   Was sagt die materialistische Ethik zur 
                Stammzellenforschung?

            -    Rezensionen

                 Bulthaup: Gesetz der Befreiung  

                 Knahl u.a.: Mit und gegen Hegel

 

4.3.2004

Sozialabbau moralisch betrachtet

Vor einer moralischen Bewertung muss die Sachanalyse kommen, soll Moral nicht ein belangloses Moralisieren sein, das die kritisierten Gegenstände immer schon affirmiert. 

In Zeiten großer Arbeitslosigkeit hat das Kapital die Möglichkeit die Löhne zu drücken, was auch ausdrückliches Ziel der Unternehmen und ihres Regierungsausschusses ist. Der Grund liegt darin, dass die Konkurrenz um die verbliebenen Arbeitsplätze die Lohnabhängigen entsolidarisiert (keine Mehrheiten für Streiks), desorganisiert (die Gewerkschaften verlieren Mitglieder) und individualisiert (als Extrem: die sogenannte "Ich-AG"). Dies ist ein Naturgesetz der kapitalistischen Produktionsweise. Es kann einen höchstens wundern, dass dieser Prozess so langsam verläuft. Konkret liegt dies wohl an der Befürchtung, ein all zu schneller Sozialabbau könnte die Kaufkraft rapide senken und dadurch innere Märkte wegbrechen lassen. An der Gewerkschaftsführung liegt es jedenfalls nicht, dass der Lohn nur langsam fällt. Sie machen unter der Losung: Reformen sind nötig, um den Wohlstand zu sichern, beim Sozialabbau mit. Bestenfalls erreichen sie für ihre Klientel eine geringere Senkung. Die allgemeine Lohnsenkung (was nicht heißt, dass der nominelle Lohn sinkt) trifft denn auch die Rentner, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosen und Kranken, also diejenigen, die aus dem Produktionsprozess ausgeschieden sind und von den sogenannten Lohnnebenkosten existieren.

Eine Verringerung der Lohnkosten erhöht den Profit. Dies erlaubt größere Investitionen und damit bessere Maschinen mit höherer Produktivität. Die Konkurrenzfähigkeit des nationalen Kapitals nimmt zu, Weltmarktpositionen können gehalten oder neu erobert werden, jedenfalls dann, wenn es die allgemeine Krise des Kapitalismus (Stagnation oder negatives Wachstem) erlaubt. Tatsächlich geht der Profit allerdings heute größtenteils gar nicht in die eigenen Betriebe, sondern schwirrt als anlagesüchtiges Kapital auf dem Weltmarkt herum. Gesellschaftlich macht sich diese Tendenz bemerkbar in einer größeren Kluft zwischen Arm und Reich: Das Lohnniveau der Arbeitenden fällt oder stagniert, während die Kapitaleigner immer reicher werden. 

Marx hat im Vorwort zu seinem Hauptwerk die Kapitalisten entschuldigt, indem er sie als Funktionäre ihres Vermögens bestimmte. Solange diese Produktionsweise besteht, muss ein Eigner von Produktionsmitteln so handeln, wenn er sein Eigentum nicht verlieren will. Wenn allerdings ein Großkonzern zur Hälfte einer Bank gehört und der Großkonzern zugleich die Hälfte der Aktien dieser Bank besitzt, dann ist gar keine Eigentümer als Person mehr erkennbar, das Kapital wird anonym. Sozialabbau erscheint dann als Sachzwang, als Notwendigkeit, den Standort Deutschland wieder fit zu machen, eben als "Naturnotwendigkeit". Die machthabenden Politiker, Manager, Vorstände und Chefredakteure, kurz die "Elite", erscheinen dann als bloße Vollstrecker einer gewaltigen Naturmacht. Die individuellen Entscheidungen einzelner und die Diskussion darüber in der Demokratie sind dann reduziert darauf, wer es besser kann, sich als Hampelmann des Kapitals zu betätigen.  Die bürgerliche Demokratie, die nach dem Anspruch ihrer Verfassung eine Entscheidung des Volkes über seine zukünftige Entwicklung sein soll, ist abgeschafft, das Parlament hat neben dem dort vorgehenden Machtkampf bestenfalls noch propagandistische Aufgaben: den Verkauf der Sonderinteressen des Kapitals als Allgemeinwohl. Eine antikapitalistische Partei existiert nicht.

Moral als Gesetz der Freiheit, wäre nur dann relevant für die Gesamtgesellschaft, wenn die Produktion nach einem vereinbarten Plan organisiert und an den reflektierten Bedürfnissen der Mitglieder dieser Gesellschaft orientiert wäre. Stattdessen orientiert sich die bestehende Produktionsweise an ihrem obersten Zweck: der Produktion von akkumulierbaren Mehrwert, und wird von der Anarchie des Marktes bestimmt, dessen regelmäßige Opfer nicht in der "sozialen Hängematte" landen, sondern auf dem kalten Beton, nachdem sie es nicht geschafft haben, nach der kurzen Abfederung auf dem Gummiball des Arbeitslosengeldes wieder auf diesen Ball hinauf zu klettern, also im Konkurrenzkampf um die Arbeitsstellen wieder eine zu ergattern. Gesamtgesellschaftliches moralisches Handeln, das die Freiheit und soziale Sicherheit der Individuen zum Zweck hat, und eine andere Moral wäre bloße Ideologie, ist deshalb nur dann möglich, wenn dieses Handeln intendiert, die kapitalistische Warenproduktion abzuschaffen. Die gegenwärtige Gestalt der Moral ist ihre antikapitalistische Ausrichtung, weil in dieser Ökonomie gestaltendes Handeln, das moralisch legitimiert wäre,  gar nicht möglich ist. Selbst ein hier und da gelingender Kampf gegen den Sozialabbau - so wichtig dieser Kampf auch ist - bringt keine Lösung der ökonomischen Probleme. Die Funktionäre des Kapitals und die Funktionäre der eigenen Arbeitskraft, die beide bei der Produktion des akkumulierbaren Mehrwerts mitmachen müssen, wollen sie  überleben und nicht marginalisiert werden, können nur dann moralisch handeln, wenn sie gleichzeitig auf eine Veränderung der Produktionsweise drängen. So widersprüchlich ist heute vernunftbestimmtes Handeln. Man kann einen Lohnabhängigen nicht raten, sein Geld in den Sparstrumpf zu stecken anstatt es auf die Bank zu bringen, nur damit er nicht über die Zinsen an der Ausbeutung seiner Klasse teilhat. Wohl aber fordert ihn seine Vernunft auf, für die Abschaffung des Kapitalismus einzutreten, der seinesgleichen immer wieder bedrängt: durch Ausbeutung, Sozialabbau, Armut, Marginalisierung, Verblödung und endlich als Menschenmaterial für den nächsten Krieg.

Nun könnte man gegen ein solches moralisches Handeln einwenden, dass es ein bloßer Luxus ist, dass es sich auch ohne Moral gut leben lässt (wenn man nicht den Gummiball herunterfällt), dass ein autonomes Handeln in der Massengesellschaft sowieso nicht realisierbar ist, ja dass dieser "Idealismus der Gutmenschen" eine bloße Illusion ist, die keinen wirklich interessiert. Das Gegenteil einer autonomen Moral ist jedoch nicht einfach die bewusstlose Anpassung des eigenen Verhaltens an die bestehenden Möglichkeiten und Trends, sondern wie schon Kant erkannt hat: der Krieg. Die Anpassung des Verhaltens an die "Sitten des Volkes" (Hegel), was wohl eher heißen müsste: an die zur Arbeitskraft abgerichteten Menschen, die berechenbare Produzenten und Käufer sind und ihr Vergnügen am Einheitsbrei der Kulturindustrie finden, hat im 20. Jahrhundert Millionen von Toten ermöglicht. Seit einigen Jahren darf Deutschland wieder beim Krieg-Machen mitspielen. Der Krieg aber ist eine Wesensbestimmung der kapitalistischen Ökonomie. Wenn durch die ständig gesteigerte Produktivität unter kapitalistischen Bedingungen auf der Erde immer weniger Menschen Arbeit finden, dann müssen zwangsläufig die sozialen Spannungen steigen. Der Krieg wird immer häufiger notwendig, um dieser Spannungen so einzudämmen, dass die Investitionen des Kapitals nicht gefährdet werden. Außerdem gefährdet der Aufstieg neuer Großmächte die zur Zeit noch dominierende Großmach USA. Am Horizont der Geschichte taucht das Gespenst erneut auf, das da heißt: Kampf um die Vorherrschaft in der Welt, ein Gespenst, das das ganze 19. Jahrhundert  und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmt hat. 

Ein Agieren im Rahmen des Kapitalismus, das Vertreten der eigenen Interessen im anarchischen Markt widerstreitender Interessen muss abgelöst werden durch das Interesse an der Abschaffung dieser Ökonomie. Das letztere Interesse aber ist nicht denkbar ohne eine moralische Anstrengung, der von den unmittelbaren Interessen am Überleben abstrahiert. Rafft sich die Menschheit nicht zu dieser moralischen Anstrengung auf, wird sie langfristig angesichts der vorhandenen Destruktivkräfte zu Grunde gehen. Massenvernichtungswaffen sind nicht nur in den Händen von Terroristen gefährlich, auch demokratische Politiker haben sie schon eingesetzt und werden sie wieder einsetzen, wenn die als Naturmacht erscheinenden Sachzwänge des Kapitals dies erfordern. 

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24.12.01

Eine aktualisierte Vorbemerkung zu den 

"Acht Thesen zum Terror gegen die USA"

Diese Zeilen schreiben wir Weihnachten 2001. Die "Acht Thesen..." sind unmittelbar nach dem Terroranschlag in New York und Washington geschrieben und am 21. 9.01 ins Internet gestellt worden.

Die USA haben das Taliban-Regime mit ihren Bombenangriffen beseitigt, eine Koalition aller kapitalistischen Länder zustande gebracht und bereiten sich auf weitere Schläge gegen den "Terror" vor. Gemeint sind alle Regimes, die ihre Ökonomie nicht dem Weltmarkt öffnen, auf dem bekanntlich die produktiveren Länder den Mehrwert aus den ökonomisch unterentwickelten Gebieten kostenlos abziehen können, indem sie lediglich "fairen Handel" betreiben. Ein Weltmarkt, der Kapitalexport und freien Handel erlaubt, die Bindung der jeweiligen Bevölkerung an seine Erfordernisse erzwingt, von der Enteignung der kleinen Sparer, um die Staatsfinanzen zu sanieren - wie Argentinien gerade zeigt -, bis zum Elend und Hunger der unteren Bevölkerungsschichten. 

Wenn wir heute noch einmal einen Artikel über den Terror gegen die USA formulieren würden, dann brauchten wir kein Wort zurückzunehmen, wohl aber würden wir andere Akzente setzen. Die prognostizierte Tendenz in den USA und Westeuropa, das diese Gesellschaften nach Rechts abdriften, ist voll eingetreten: So wird in den USA öffentlich über die Folter nachgedacht, die immer schon heimlich betrieben wurde. Und in Deutschland machen die "Antiterrorgesetze" von Bundesinnenminister Schily den Überwachungsstaat noch dichter. 

Auch die Aussage, dass auf Grund der heutigen Weltlage es für einen Staat politisch legitim ist, sich dem Terror gegen die eigene Bevölkerung entgegenzustellen, bleibt gültig. Aber "Hinzu kommt," so schrieben wir damals, "dass die USA und die NATO als imperialistische Mächte diesen kommenden Krieg auch für andere Zwecke ausnutzen werden, wie z.B. ihnen gegenüber unbotmäßige Staatsführungen zu disziplinieren oder zu beseitigen". Sie haben diesen Krieg in Afghanistan derart ausgenutzt. Auch wenn das sich nun abzeichnende Regime die bürgerlichen Menschenrechte mehr achtet als die Taliban, so bleibt die Tatsache, dass die USA die inneren Angelegenheiten dieses Landes wesentlich zu Gunsten ihrer Interessen beeinflussen können. Die nächsten Ziele werden unter der Hand bereits genannt: Somalia, Jemen, Irak und der Sudan. 

Grundsätzlich gilt zum Imperialismus: Direkte Gewalt mittels Bombenflugzeugen usw. oder die Drohung mit Gewalt dienen der Sicherung der Geschäftsbedingungen des Kapitals. Da diese Sicherung der Geschäftsbedingungen selbst kein Geschäft ist, fällt es in die Aufgabe der Staatsführungen, die Mittel der gesamten Gesellschaft dafür zu mobilisieren. Die Nebenkosten des Kapitals werden sozialisiert. Der Kolonialimperialismus des 19. Jahrhunderts ist inzwischen dem Dollarimperialismus amerikanischer Provenienz gewichen, der aber ebenfalls nicht ohne direkte militärische Eingriffe auskommt. 

Nicht nur weil die bebombte Zivilbevölkerung leidet, sondern auch weil die niederen Motive von Ausbeutung, Profitmaximierung  und die Anhäufung des Kapitals auf den Knochen der Zerfetzten hinter diesen Kriegen stehen. Deshalb ist jeder imperialistische Krieg unmoralisch, auch wenn die Propaganda die Sicherung des kapitalistischen Geschäfts als Rettung der Menschenrechte verkauft, Menschenrechte, gegen die ihre Regierungen permanent selbst verstoßen. 

Die Zahl der Opfer in den USA waren Phantasiezahlen der Medien, die wir übernommen haben. Inzwischen hat die Regierung der USA die Zahlen korrigiert. Es sind wohl weniger als 3000 Menschen umgekommen. Der Bombenkrieg in Afghanistan hat wahrscheinlich  inzwischen mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung gekostet. Ist ein Menschenleben in der "Dritten Welt" weniger Wert?

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21.9.01

Acht Thesen zum Terror gegen die USA

1. Entführte und vollgetankte Passagierflugzeuge wurden als Bomben gegen die Symbole der Weltmacht USA eingesetzt. Der Massenmord an der Zivilbevölkerung war gewollt. Inzwischen schätzt man die Anzahl der Toten auf ca. 7000. Die erste Reaktion auf die Bilder von  den Anschlägen waren Betroffenheit, dann Mitleid mit den Opfern. Doch die Haltung der Betroffenheit und des Mitleids ist in einer Welt, die nur noch qua Reflexion erschlossen werden kann, nicht ausreichend für politische Menschen. "Betroffenheit" macht aus dem Menschen ein Objekt, das zum Spielball von Manipulationen der weitgehend gleichartig berichtenden Medien wird. Es muss nach den Ursachen dieses Terrors gefragt werden. 

2. Als England noch die Weltmacht Nummer eins war, also im 19. Jahrhundert, drückte der Roman von B. Stoker: "Dracula", die Ängste der Bourgeoisie vor dem aus, was sie in der Welt anrichtete. Am 11. September 2001 ist Dracula wirklich in New York erschienen, aber nicht als Vampir und literarische Figur, sondern als  realer religiöser Wahnsinn, der auch in der westlichen Zivilisation ein beliebtes  Herrschaftsmittel ist. 

3. Die tieferen Ursachen des Terrors gegen die kapitalistischen Metropolen liegen in dem Elend der ökonomisch unterentwickelten Länder, die mit Hungerkatastrophen, Mehrwertabschöpfung über den Handel und den Kredit und der arroganten Verbreitung von Kulturmüll an den Weltmarkt geschmiedet und gefügig gehalten werden sollen. 

4. Die unmittelbaren Ursachen, die in den Führern und Hintermännern des Terroranschlags auf New York angesiedelt sind, mögen in feudaler Menschenverachtung, Angst vor Modernisierung, religiösem Wahn und persönlicher Rache liegen. Es sind kleinbürgerlich reaktionäre Elemente, eine quasi faschistische Lumpenbourgeoisie, die hinter die zivilisatorischen  Errungenschaften des Kapitalismus zurückfallen. Allerdings fällt der Kapitalismus  ebenfalls ständig hinter diese Errungenschaften zurück, man denke nur an den deutschen Faschismus, den Abwurf der Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki und die Bombardierung nordvietnamesischer Städte durch die USA ... Wer Terror gegen die Zivilbevölkerung treibt, verstößt gegen die primitivste Vernunft und jede allgemeingültige Moral. Die Terroristen, ob kleine Gruppen oder Staaten, sind deshalb Feinde der Menschheit überhaupt. 

5. Als in den 70er Jahren des 19. Jahrhundert in Deutschland die Gründerkrise ausbrach, suchten die verzweifelten Kleinbürger ihren Halt in der Nation und ihr Feindbild im "Antisemitismus", indem sie "die Juden" für die kapitalistische Krise verantwortlich machten. Die Folgen im Faschismus sind bekannt. Ähnlich suchen sich die Terroristen heute Symbole des Kapitalismus wie das World Trade Center und den "laizistischen westlichen Menschen"  aus und identifizieren diese mit der Ursache des Elends ihrer Völker. Die kapitalistische Produktionsweise wird dadurch als Ursache unkenntlich. Das Kapital ist aber sich selbst verwertender Wert, ein anonymes gesellschaftliches Verhältnis, das weder durch Abschlachten seiner Charaktermasken und schon gar nicht der Lohnabhängigen berührt wird. Im Gegenteil: Begrenzte Kriege fördern langfristig eher die Konjunktur, auch wenn die Aktien kurzfristig sinken. Das Kapital der nationalen Bourgeoisien (aus dem die Terroristen vermutlich kommen) ist über den Weltmarkt direkt verstrickt mit dem US-amerikanischen.

6. Zwischen den Terroristen und der US-Regierung gibt es keinen unabhängigen und mit Macht ausgestatteten Gerichtshof, der angerufen werden kann. Die Beziehung der Staaten ist noch weitgehend nach dem Modell des "Naturrechts" konstituiert, in dem das Prinzip des bellum omnia contra omnes gilt. Die einzige Möglichkeit der Gerechtigkeit ist hier die Rache, um vor zukünftigen Anschlägen abzuschrecken. Rache aber wird wieder mit Rache beantwortet - eine unendliche Progression. Hinzu kommt, dass die USA und die NATO als imperialistische Mächte diesen kommenden Krieg auch für andere Zwecke ausnutzen werden, wie z.B. ihnen gegenüber unbotmäßige Staatsführungen zu disziplinieren oder zu beseitigen. Sozialisten können deshalb einen solchen Krieg nur soweit zustimmen, wie er sich unmittelbar gegen die Terroristen selbst richtet. 

7. Die innenpolitische Wirkung des Terrors gegen die USA besteht in einem weiteren Abbau der Bürgerrechte, die Beschleunigung der Tendenz zum Überwachungsstaat und allgemein das Abdriften der Gesellschaft nach Rechts. Die ganze westliche Welt wird zur Volksgemeinschaft, in der Lohnabhängige und Unternehmer freiwillig Händchen halten und Kerzen anzünden. In New York fällt man schon auf, wenn man keine US-Flagge auf seiner Kleidung trägt. Der Bundestag in Berlin kennt nur noch Deutsche, keine Parteien mehr.

8. Widerstand gegen den Kapitalismus  ist nur legitim und wirksam, bei allem Verständnis für spontane Revolten gegen unmittelbare Unterdrückung, wenn er auch an allgemeinen Zielen orientiert ist, die von allen Menschen auf der Erde kraft ihrer Vernunft akzeptiert werden können. Der wahllose Terror gegen eine Bevölkerung macht diese zu bloßen Mitteln für partikulare Zwecke. Er ist deshalb nicht akzeptabel. Sozialisten haben die Menschen von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Kapitalismus abzuschaffen, nicht sie durch Terror um ihren Verstand zu bringen. 

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Was sagt die materialistische Ethik zur Stammzellenforschung?

  Das Problem und seine irrationale Diskussion
  Das moralische Problem. Abstrahiert von den kapitalistischen Bedingungen
  Abstrakte pragmatische Begründung
  Das Experimentieren mit Embryonen ist moralisch verwerflich
  Die kapitalistischen Bedingungen der Forschung
  Kann die Gesellschaft der Ausschlachtung des Menschlichen Schranken setzen?

 

Das Problem und seine irrationale Diskussion

Das ubiquitäre Geraune um die Ethik der Forschung an Stammzellen, Embryos, das Klonen von Tieren und Menschen, letztlich die Ethik der  Genetik insgesamt, die über Artgrenzen hinweg Kunstarten wie die Schiege schafft, ist zur Zeit das beliebteste Feuilleton-Thema. Mittels embryonalen Stammzellen, das sind teilungsfähige Zellen, aus denen sich bis zu 200 Gewebe des Körpers entwickeln können, erhoffen sich die Forscher die Heilung von Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Diabetes. Um diese embryonalen Stammzellen zu gewinnen, müssen Embryos, also die befruchteten Eizellen, getötet werden (mit adulten Stammzellen aus anderem Körpergewebe lassen sich vermutlich nur ca. 20 Organe des Körpers regenerieren). Die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" (HAZ) vom 1.9.01, Seite 3,  stellt sich dabei das zynische Problem: "Was ist höher zu bewerten, der Schutz ungeborenen Lebens oder der Kampf gegen tödliche Krankheiten?"

Viele Experten melden sich und berufen sich auf irgend welche "Werte". Doch der Maßstab ihrer Meinung, diese "Werte", ist irrational. Es gibt keine rational einsichtig begründete "Werttheorie". Befürworter wie Gegner der Stammzellenforschung können sich dadurch ungehindert auf jeweils "ihre Werte" berufen. Wohin letztlich die Richtung geht, bestimmen dann die Erfordernisse der Bioindustrie, von der die meisten Forscher direkt oder indirekt abhängen. So stellt die HAZ jeweils mit Bild in repressiver Toleranz einen zweifelnden Gynäkologen zwischen vier die Stammzellenforschung an Embryonen bejahende Wissenschaftler (Herzspezialist, Tierarzt, Genetikerin, Neurologe). Was der Neukantianismus im 19. Jahrhundert mit seiner Wertlehre sich ausgedacht hatte, war ein Rückzug von der rationalen Moralphilosophie Kants zur Beschwörung von "Kulturgütern" angesichts der Hilflosigkeit gegenüber einer übermächtigen sozialen Realität, die moralisches Handeln nicht zuließ und bis heute nicht zulässt. Von "religiösen Wertvorstellungen" reden wir hier gar nicht, denn diese berufen sich noch nicht einmal auf den Schein von Rationalität.

Ist der Mensch bloßes Mittel eines Kreislaufs von Produktion und Konsumtion, im Wesentlichen nur Arbeitskraft in einer Produktion um der Produktion willen, die sich als "selbsttragende Investitionskonjunktur" lobt, dann hat das kantische Sittengesetz, keinen Menschen als bloßes Mittel zu behandeln, keine Wirklichkeit mehr. Entsprechend griff man zur Beschwörung von Werten, und die Politiker aller Parteien nahmen diese folgenlose moralische Rhetorik begierig auf, um ungestört ihrem obersten Ziel, die Produktion des akkumulierbaren Mehrwerts, nachgehen zu können. Moral ist spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts zur  Propaganda und Lüge verkommen, kaum noch eine "ideelle Existenzbedingung der herrschenden Klasse" (Marx), sondern eher  "Herrschaftsinstrument" (Marx), wie es der Slogan vom "ethischen Imperialismus" (Prinz Max von Baden) zynisch ausdrückt. 

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Das moralische Problem 

Abstrahiert von den kapitalistischen Bedingungen

Systematisch setzt eine Diskussion um die ethische Begrenzung wissenschaftlicher Forschung ein rational begründetes Prinzip voraus. Dass der Mensch nicht zum bloßen Mittel gemacht, sondern immer auch als Selbstzweck behandelt werden muss, dieses Prinzip begründet Kant mit dem intelligiblen Substrat, das dem menschlichen Dasein zugrunde liegt. Soweit die Forschung über den Menschen auch fortschreitet, dieses intelligible Substrat ist nicht empirisch konstatierbar, muss aber dennoch vor jeder empirischen Forschung angenommen werden, denn sonst hätte diese keinen Gegenstand. Karl Heinz Haag hat im Anschluss an Kant die metaphysische Voraussetzung der modernen Naturwissenschaften schlüssig formuliert:

"Positiv bestimmbar an stofflichen Dingen ist einzig ihr funktionales Verhalten - aber nicht das, worin sie ontologisch gründen: das Prinzip ihrer Genesis. Ihm gegenüber haben die von den physikalischen Wissenschaften erkannten Gesetze nur partikuläre Bedeutung: wie die stofflichen Prozesse, die ihnen gehorchen, sind sie bloße Mittel zur Hervorbringung des totum - einer res naturalis. Erst die Koordination einer Reihe ganz bestimmter Naturgesetze führt zu Wirklichem. Solcher Koordination sind sie selbst nicht mächtig: keines von ihnen impliziert eine Beziehung auf das Ding, bei dessen Genesis sie mitwirken. Bezogen auf ein Telos kann ein Prozesse steuerndes Prinzip nur sein, wenn es das Ziel virtuell in sich enthält. Insofern muß jenes Prinzip mehr besagen als die Summe der Gesetze, die es auf ein bestimmtes Telos hin koordiniert. Als die gestaltende Form stofflicher Dinge gehört es einer anderen Dimension an: dem für menschliches Erkennen begrifflich nicht fixierbaren Bereich des intelligiblen Ansichseins von Welt. Diese negative Seite an metaphysischer Erkenntnis läßt Metaphysik nur als negative Metaphysik zu. Ohne das von ihr visierte Ansichsein empirischer Dinge würde physikalische Forschung zu etwas völlig Imaginären: einem Vorgang, der keine ontologische Grundlage hätte." (K. H. Haag: Der Fortschritt in der Philosophie, Ffm. 1983, S. 12 f.)

Das Gros der Naturwissenschaftler identifiziert umstandslos die individuellen Dinge mit ihren von den Naturwissenschaften herauspräparierten allgemeinen Eigenschaft. Ein Samenkorn des Grases gehört einer bestimmten Spezies an und ist nicht ein individuelles Ding. Deshalb ist ihnen wirklich nur, was in ihren allgemeinen Bestimmungen aufgeht. Sie sitzen deshalb einem  Verblendungszusammenhang auf, der in einer analogen Form die gesamte Ökonomie beherrscht. Aus konkreten Gegenständen werden Waren, gesellschaftliche Produkte als ökonomische Werte, in denen ein gesellschaftliches Verhältnis gegenständliche Form und diese gegenständliche Form  zum Träger eines gesellschaftlichen Verhältnisses wird, so dass in den Waren nur noch ihre Wertgestalt, das ökonomisch Allgemeine, wahrgenommen wird. Ihr Denken ist durch diesen Verblendungszusammenhang blockiert, so dass sie den Gedanken eines koordinierenden Telos in dem Gras-Samen nicht mehr verstehen können oder auch nicht wollen. Wenn aber in einem Samenkorn schon virtuell die ganze Pflanze als Zweck enthalten sein muss, dann ist dies nicht mehr begreifbar mit immer nur allgemeinen Naturgesetzen, die gerade von den Einzeldingen abstrahieren müssen. Dieses Telos muss aber notwendig als Bedingung der Möglichkeit einer individuellen Pflanze angenommen werden. 

Das intelligible Substrat gilt selbstverständlich auch für das menschliche Individuum. Wenn dem einzelnen Menschen aber ein immanentes Telos zu Grunde liegt, dann darf er nicht zum beliebigen Forschungsobjekt der Wissenschaft gemacht werden. Mit seinem zweckvoll organisierten Wesen, das sich noch dazu selbst Zwecke setzen kann und ein Selbstbewusstsein seiner Zwecke hat oder doch haben kann, also aus der Natur insofern heraustritt, darf nicht beliebig umgegangen werden. Die Degradierung menschlicher Embryonen zu beliebig ausschlachtbaren Forschungsobjekten ist unmoralisch. 

 

So sieht ein Embryo aus kurz nach der Befruchtung:

Embryo

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bstrakte pragmatische Begründung

Neben der vorgetragenen metaphysischen Begründung lässt sich dieses moralische Verbot auch pragmatisch rechtfertigen. Die menschlichen Beziehungen lassen sich nur regeln durch Moral oder durch Krieg. Will man den Krieg untereinander  verhindern, dann müssen die Beziehungen durch Regeln geprägt sein, die jeder freiwillig eingehen kann, also durch Moral. Alle Konflikte würden dann nicht mit Gewalt gelöst, sondern vor dem Richterstuhl der Vernunft gebracht und rational entschieden. (Für unsere sozialistischen Genossen, die unsere dialektische Denkweise nicht verstehen, sei erwähnt, dass wir hier nicht moralisieren, also die kapitalistischen Bedingungen der Moral erst einmal beiseite legen, um das Problem lediglich als moralisches zu behandeln. Dies aber ist Voraussetzung für eine Anwendung in der kapitalistischen Gegenwart, wenn man nicht eine Amoral, also den Krieg um des Krieges willen, huldigen will oder auf das Wertegeschwätz hereinfallen, also der moralischen Ideologie aufsitzen will.) Gilt die Moral, dann muss auch das Recht mit dieser Moral übereinstimmen. Wo die Gesellschaft meint Zwang ausüben zu müssen, z.B. mittels Gesetz und Strafandrohung, dann muss das Zwangsrecht  mit der Moral übereinstimmen. Da ich nicht zum bloßen Mittel anderer werden will, die anderen auch nicht wollen können, dass sie zu meinem bloßen Mittel werden, so ist für jeden einsichtig, den anderen nicht zum bloßen Mittel zu machen. Moralisches Denken und Handeln setzt Bewusstsein, in der Moderne auch Selbstbewusstsein voraus. Embryos haben aber ein solches Bewusstsein nicht. Sie sind deshalb nicht mit moralischen Begriffen wie Würde des Menschen zu fassen. Und dennoch müssen sie unter dem Schutz der Menschen stehen, die zur Moral fähig sind, wollen die Menschen ihr Selbstzweckhaftigkeit verteidigen.  

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Das Experimentieren mit Embryonen ist moralisch verwerflich

Sagt man, der Mensch fängt erst an, ein Mensch zu sein, wenn er voll ausgebildet ist und zur Rechtsperson geworden ist, dann dürften Kinder, Geisteskranke und debile Menschen z.B. getötet werden ohne gegen Moral und Recht zu verstoßen. Es macht dagegen die Humanität einer Gesellschaft aus, dass sie ihre Kinder und Kranken schützt, evtl. auch gegen die eigenen Verwandten, obwohl sie, je jünger sie sind, um so hilfloser existieren. Darf man aber keine unmündigen oder hilflose Menschen töten, die quasi potentielle Menschen sind, dann gilt dies auch für Föten und Embryonen. Wer wollte da eine Grenze ziehen? Jede Freigabe potentiell menschlicher Wesen zu Forschungszwecken ist verwerflich. In dem Moment, in dem eine weibliche Eizelle mit einem männlichen Sperma befruchtet wird, ist potentiell ein menschliches Wesen vorhanden, das ein immanentes Telos in sich trägt, das den ganzen biologischen Menschen bereits in sich  enthält, auch wenn dieses Telos nur erschlossen, nicht mit den Methoden der Naturwissenschaften positiv bestimmt werden kann.

Abstrakt betrachtet, abgesehen von den gesellschaftlichen Verhältnissen, ist die Abtreibung von und das Experimentieren mit Embryonen (bzw. Föten) verwerflich, denn hier wird potentielles  und beginnendes menschliches Leben vernichtet. Die Tötung von menschlichen Leben macht dieses nicht nur vorübergehend, sondern absolut, unabänderlich, nicht wieder rückgängig machend zum bloßen Mittel. Ob es juristisch Mord, Totschlag oder erlaubt ist, moralisch ist dies auf jeden Fall verwerflich. Eine Frau, die ihr Kind abtreibt, mag soziale Gründe haben, die ihren schlechten Lebensbedingungen geschuldet sind, moralisch verstößt sie gegen das Sittengesetz. Auch wenn sie unter entsprechenden Bedingungen nicht bestraft wird, ihre moralische Schuld bleibt bestehen und sie wie auch diejenigen, die sie in diese Lage gebracht haben, müssen dies mit ihrem Gewissen ausmachen. Für Experimente mit Embryonen gilt das gleiche. Gegenüber dem potentiellen Individuum mit immanenten Telos ist jedes Forschungsziel, auch wenn dadurch neue Heilungsmethoden gewonnen werden können, ein niederer Beweggrund. Faktisch wird heute mit einem bloß möglichen Heilungsverfahren die Tötung von individuellem Leben gerechtfertigt. Ein bloß formal Mögliches kann wirklich werden oder auch nicht, es ist deshalb ein Widerspruch in sich. Ein solcher Widerspruch ist dann die Begründung von Wissenschaftlern für die Tötung von Menschen. Die gleiche Form der Begründung haben die KZ-Ärzte vorgebracht, die an Menschen tödliche Experimente durchgeführt haben.

Dagegen sagt der "US-Bioethiker" Erich H. Loewy über Embryonen: "'Die Frage ist doch nur: Wollen wir sie nutzen oder wegschmeißen?' Als  Ethiker wisse er, dass man leider selten die Wahl habe zwischen etwas Gutem oder etwas Schlechtem. 'Oft muss man sich doch nur entscheiden zwischen etwas Schlechtem, etwas noch Schlechterem und etwas Hundsmiserablem.' Die Verwendung von Embryonen in frühen Phasen sieht er insofern gerechtfertigt. 'Die sind zwar am Leben, haben aber noch kein Leben.'" (HAZ ebda.) Geht ein Embryo durch natürliche Vorgänge im Mutterleib verloren, so ist das Schicksal und hat mit irgendeiner Schuld nichts zu tun. Loewy spricht hier jedoch von produzierten Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung "anfallen". Da in den Mutterleib nur ein Embryo eingepflanzt" wird, müssen die anderen absterben. Dies aber ist moralisch nichts anderes als Abtreibung von Embryos und deshalb ist bereits die künstliche Befruchtung ethisch nicht legitimierbar. (Pragmatisch wäre sie nur gerechtfertigt, wenn die Menschheit am Aussterben wäre und nur so gerettet werden könnte. Faktisch ist dies nicht gegeben, wie jeder weiß, gibt es auf dem Planeten genug Menschen.) Wenn Menschen sich Kinder wünschen und auf natürlichem Wege nicht zur Zeugung fähig sind, besteht immer noch die Möglichkeit, ausgesetzte Kinder usw. zu adoptieren. Die künstliche Befruchtung auf Kosten von getöteten Embryos dagegen ist der erste Schritt über das Designer-Baby hin zum für das Kapital gezüchteten Übermenschen, dem als Kreuzung zwischen Mensch und Affe ein "sehr intelligentes Arbeitstier" gegenüber steht.

Ob eine Gesellschaft diese Forschung erlaubt, einschränkt oder ganz verbietet, moralisch ist diese Forschung ein Verstoß gegen das oberste Moralgesetz (Sittengesetz), gesellschaftlich geduldet, eine Kriegserklärung an die Menschheit.

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Die kapitalistischen Bedingungen der Forschung

Zunächst einmal geht es nicht in erster Linie um Grundlagenforschung, sondern um profitable Anwendung biologischer Mechanismen. Längst ist die Naturwissenschaft zur Technologie mutiert. Zwischen einer naturwissenschaftlichen Fragestellung und ihrer Beantwortung in der Forschung schiebt sich eine riesige Maschinerie zum Experimentieren, die äußerst kapitalaufwendig ist. Kapital aber muss sich verwerten, so sind alle Forschungen entgegen dem Gefasel von der "Wertfreiheit" an die Produktion von Mehrwert bzw. Profit gebunden.

Kapitalistische Unternehmen konkurrieren untereinander bereits in der Produktion, weil nur hier der Wert als Durchschnittsarbeitszeit sich herausbildet. Nach dem ökonomischen Wertgesetz erlangt das Unternehmen Konkurrenzvorteile, z.B. einen Extraprofit, weil es die produktivste Maschinerie anwendet. Deshalb ist es gezwungen, seinen Profit immer wieder zu reinvestieren, um die neuesten Maschinen  einsetzen zu können - bei Strafe seines Untergangs. Oberster Zweck der kapitalistischen Produktion ist deshalb die Produktion von akkumulierbaren Mehrwert respektive Profit. Ist aber in einer Branche die Steigerung der Produktivität aktuell nicht mehr möglich, etwa weil es zur Zeit keinen lohnenden technischen Fortschritt gibt, dann muss das Kapital auf andere Bereiche ausweichen, will es sich nicht entwerten. Die Produktion der traditionellen Industriegüter stockt zur Zeit. Der industrielle Sektor hat kein nennenswertes Wachstum mehr. Dies ist der Grund, warum immer wieder neue Bereiche des menschlichen Lebens, der Natur und der Kultur unter das Kapital subsumiert werden. Versprechen die biologischen Wissenschaften verwertbare Resultate, dann stürzt sich das Kapital auch auf die menschliche Erbsubstanz und die Embryonen, um sie profitabel zu verwerten.

"Sinkt die Profitrate, so einerseits Anspannung des Kapitals, damit der einzelne Kapitalist durch beßre Methoden etc. den individuellen Wert seiner einzelnen Waren unter ihren gesellschaftlichen Durchschnittswert herabdrückt und so, bei gegebnen Marktpreis, einen Extraprofit macht; andererseits Schwindel und allgemeine Begünstigung des Schwindels durch leidenschaftliche Versuche in neuen Produktionsmethoden, neuen Kapitalanlagen, neuen Abenteuern, um irgendeinen Extraprofit zu sichern, der vom allgemeinen Durchschnitt unabhängig ist und sich über ihn erhebt." (Marx: Kapital III, in: MEW 25, Berlin 1969, S. 269)  Eines dieser neuen Abenteuer ist die Biotechnologie. Selbst die heutige Diskussion ist dann nicht mehr Resultat des immanenten Forschungsdranges der Biologen und Mediziner, sondern der allgemeinen Stagnation der Akkumulation gedankt. "'Den absoluten Schutz menschlichen Lebens gibt es nicht', betont Haverich. Der Transplantationschirurg  und viele seiner Kollegen gehen inzwischen in die Offensive.  Sie werben für die Möglichkeiten, die der Einsatz embryonaler Stammzellen der Medizin bietet." (HAZ ebda.)  Dass das Fachinteresse eines Chirurgen eine ganze Zeitungsseite füllt, liegt nicht an seinen Interessen, sondern am Verwertungsbedürfnis des Kapitals, das sich neue Anlagesphären erschließen will. Geht das nicht in Deutschland, dann fließt es eben ins Ausland. "Neue Anziehungskraft entfaltet dagegen eben Großbritannien: Dort hat im Januar dieses Jahres das Unterhaus in London ein Gesetz verabschiedet, das binnen 14 Tagen nach der Befruchtung auch das therapeutische Klonen (Embryonen werden hier allein zu Therapiezwecken erzeugt, d.Verf.) erlaubt. Mit dieser Regelung überschritten die Briten eine Barriere, die in den Ländern des Kontinents noch (!) eingehalten wird - allerdings mit unterschiedlichem Nachdruck." (HAZ ebda.)  Um den Standort Deutschland zu sichern und das Biokapital im Lande zu halten (Arbeitsplätze!) fordert die Forschung aus dem Munde des Göttinger Rechtswissenschaftlers Hans-Ludwig Schreiber: "Auch in Deutschland müsse das Embryonenschutzgesetz dem Stand der Forschung angepasst werden. In seinen Augen sollten 'Stufen des Schutzes' möglich sein. 'Damit setzen wir Grenzen, lassen aber Möglichkeiten offen, die die Gesellschaft dann diskutieren sollte.'" (HAZ ebda.) Nicht die Ethik und eine aus ihr begründete Moral ist der Maßstab, sondern die kapitalgestützte Forschung. Es ist dann nur konsequent, jegliche autonome Moral aufzuweichen. Jede Grenze kann wieder in der "Diskussion" fallen - wie es beliebt. Die Diskussion dient letztlich nur der Beruhigung ängstlicher Geister vor der schönen neuen Hightech-Biologie. 

"Kapital flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinen Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 % stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel." (T.J.Dunning, zitiert nach Marx: Das Kapital I, in MEW 23, Berlin 1966, S. 788)  Heute werden Drogen geschmuggelt und z.B. ausländische Frauen  in Bordellen versklavt. Und ist die Präimplantationsdiagnostik, d.h. die Untersuchung einer befruchteten Eizelle vor der Einpflanzung in die Gebärmutter in Deutschland verboten, dann wird diese Art des profitablen Geschäfts mit dem Kinderwunsch im Ausland abgewickelt. 

Sinkt die Akkumulationsrate wie zur Zeit, dann treibt es das Kapital auch in die Biotechnologie, zumal dort für diejenigen, die zuerst waghalsig ihre Millionen einsetzen, horrende Extraprofite locken. Nicht nur die Arbeitskraft und deren Bewusstsein, sondern jetzt auch ihre biologische Substanz wird zum Objekt der Ausschlachtung. Kann man den Erwachsenen nicht schlachten, dann stürzt sich das Kapital auf den wehrlosen "Zellklumpen" Embryo.

Andererseits bestehen Ängste in der Bevölkerung, auf die das Kapital Rücksicht nehmen muss, will es "Tumult und Streit" vermeiden, bevor überhaupt sicher ist, ob Extraprofite realisierbar sind. Die Ware Arbeitskraft erwartet von der Genetik nichts Gutes, etwa wenn genetisch getestet wird, ob ein Arbeiter für die Chemieindustrie tauglich ist oder ob er anfällig für Krebs ist, der dort angeregt wird zu wachsen. Es gilt auf die Stimmung der Arbeitskraft Rücksicht zu nehmen. Dies führt zu der Frage:

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Kann die Gesellschaft der Ausschlachtung des Menschlichen Schranken setzen?

Der Soziologe Oskar Negt sagt ja. Er fordert einen neuen Hippokratischen Eid für Naturwissenschaftler. "Der Naturwissenschaftler sollte darauf verzichten, sich, wie Freud das einmal nannte, wie ein 'Prothesengott' aufzuführen. Man darf den Menschen nicht neu zusammensetzen oder gar züchten wollen. Der bedeutende Naturwissenschaftler Chagraff hat einmal davon gesprochen, dass der Mensch im vergangenen Jahrhundert zweimal eine Grenze überschritten hat, als er den Atomkern und den Zellkern 'verschandelte'. Er fordert, ein kulturelles Tabu gegen solche Eingriffe aufzurichten." (HAZ vom 31.8.2001, Seite 7)   Eine solche Tabu-Setzung widerspricht allen Erfahrungen mit der Forschung im kapitalistischen Zeitalter, in der eher das Prinzip galt und gilt: Was möglich ist, wird auch gemacht. Der Journalist der HAZ fragt deshalb in diesem Interview zurecht nach: "Wie soll das gehen?"  Die Antwort von Negt: "Man kann einen gesellschaftlich-kulturellen Rahmen herstellen, eine Atmosphäre schaffen, in der bestimmte Arten der Forschung geächtet werden. Vergleichen wir es mit der mühsamen Verbreitung der UN-Deklaration der Menschenrechte: Es dauerte Jahrzehnte, ja dauert noch an, bis sie in die Verfassung der einzelnen Staaten Eingang fand beziehungsweise findet, aber sie schuf eine größere Aufmerksamkeit für Menschrechtsverletzungen. Hier kann ich mir Ähnliches vorstellen, etwa internationale Deklarationen, die den Schutz des Lebens betreffen. So kann dann Aufmerksamkeit für die Grenzen der Wissenschaft erzeugt und die Versuche , sie zu überschreiten, geächtet werden. Es wäre ein Kulturverlust, wenn wir keine Grenze akzeptieren würden, wenn Patentrecht und Standortdebatte die Forschungsziele bestimmen würden. Es geht um die Richtung der Forschung, die sich an gesellschaftlichen Bedürfnissen orientieren wollte. Als sich das Ende der Atomenergie abzeichnete, waren auch mehr Ressourcchen frei für alternative Energiequellen." (HAZ ebda.)

Es war ein Interview und wir wollen die laxe Sprache nicht kritisieren ("Ende der Atomenergie" - als ob nicht bei jeder Verbrennung Atomenergie eine Rolle spielt).  Auch dass Negt die Erfahrungen seiner akademischen Lehrer Horkheimer und Adorno vergessen hat über die Wirkung der Menschenrechte in den westlichen Demokratien oder seine eigene Erfahrung mit dem Vietnamkrieg, soll außen vor bleiben. Dass man aber so naiv über Menschenrechte reden kann, obwohl erst vor kurzem der erste Angriffskrieg der Bundesrepublik mit diesen Menschenrechten gerechtfertigt wurde, von einer Regierung, deren Bundeskanzler Negt berät, das ist nicht verzeihlich.

Negt hält auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft eine Beschränkung der Forschung für möglich. Doch im Grunde hat er den Kern der Frage des Journalisten nicht beantwortet: Wer soll denn die Forschung einschränken? Eine funktionierende Arbeiterbewegung, die kapitalkritisch ist, gibt es nicht. Und der Appell für eine gesellschaftliche Atmosphäre der Beschränkung ist so unbestimmt wie das Wort zum Sonntag. Tatsächlich wird doch die Forschung nur beschränkt, wenn die Vorteile der einen Gruppe auf Kosten der anderen Kapitalfraktion gehen oder wenn eine Unruhe unter den Lohnabhängigen entstünde, die sich hemmend auf den reibungslosen Verwertungsprozess auswirkte. Letzteres setzte aber wieder eine Bündelung der Ängste und ihre Organisierung als Protest voraus, dem die Atomisierung der Lohnabhängigen widerspricht. 

Negt scheint mit seinen Äußerungen auch nicht nur die Klasse der abhängig Beschäftigten anzusprechen, sondern alle Menschen, wenn er von "der Gesellschaft" und von "gesellschaftlichen Bedürfnissen" spricht. Voraussetzung, seinem moralischen Appell zu folgen, ist eine rational begründete Ethik, aus der ein neuer hippokratischer Eid schlüssig folgt. Stattdessen stimmt Negt in das Wertegefasel ein und relativiert zugleich diese Werte. "Gesellschaftliche Umbrüche erzeugen Wertkonflikte: Die alten Werte gelten nicht mehr unbesehen, neue sind noch nicht da. Es herrscht Unsicherheit. Ich habe den Eindruck, da genügt eine Erfolgsmeldung über adulte Stammzellen in Düsseldorf - und schon wird alles umdefiniert." (HAZ ebda.)  Werte, die einmal als überhistorische gedacht wurden, um dem Zeitlauf zu widerstehen, werden anscheinend alle zehn Jahre nach Negt erneuert. Und wieder setzt sich im Pluralismus der Wertedebatte, die allgemeine Tendenz durch, die den Interessen des Kapitals entspricht, weil es auch die Masse der  Kommunikationsmittel beherrscht.  Das neue von Negt angekündigte Buch  "Arbeit und menschliche Würde" wird dann vermutlich seine kritischen Geister, die noch an ihn glauben, mit Illusionen und Irrationalismen beruhigen und zu einem guten Gewissen beitragen. 

Voraussetzung einer moralisierenden Kritik am Kapitalismus und seinen Erscheinungen ist die revisionistische These, man könne ihn zähmen. Wenn Negt im gleichen Interview eine "Verteilungsgerechtigkeit" fordert, dann sitzt er sozialdemokratischen Illusionen auf - wider einer rationalen Analyse der bestehenden Produktionsweise. Das Kapital ist die Einheit von Produktions- und Verwertungsprozess, auch wenn beide räumlich und zeitlich getrennt sind; eine andere Verteilung der Produkte zu fordern, ohne die kapitalistische Produktionsweise selbst negieren zu wollen, hieße dem Kapital vorzuschlagen, auf die Realisierung seines in der Produktion erzeugten Profits in der Zirkulationssphäre  zu verzichten. Eine Politik, die auf solch einen Widerspruch in sich basiert, ist eigentlich nur noch dümmliche Propaganda. Längst haben sich die angeblichen Kapitalismus-Zähmer zu den raffinierteren Machern gemausert, die den Standort Deutschland sichern. Sie verkaufen die schrankenlose Verwertung des Kapitals mit moralischen Skrupeln und erreichen so eine breitere Zustimmung im Arbeitervolk als die Konkurrenten von der FDP oder CDU. 

Tatsächlich gilt bis heute die Einsicht, die Marx gegen Leute wie Negt vorbringt: "Er möchte daher von außen Schranken der Produktion setzen durch Sitte, Gesetze etc., die eben als nur äußere und künstliche Schranken notwendig vom Kapital über den Haufen geworfen werden." (Grundrisse, in: MEW 42, S. 324)  (Näheres zum Verhältnis von moralisierender Kritik am Kapitalismus und einer Kritik ohne Moral findet sich in "Erinnyen" Nr. 4, S. 61 - 64.)

Nun könnte jemand den Einwand machen: auch unser Text biete keine Lösung des Problems an, das Leben von Embryonen vor der Forschung zu bewahren. Richtig. Wir erzeugen aber auch nicht die Illusion, es ließe sich mit moralischen Appellen lösen. Am Schluss seines Interviews spricht Negt die Irrelevanz seiner Überlegungen auch direkt aus: "Wenn man die elende Lage, in der Milliarden Menschen auf der Erde leben, betrachtet, sind Probleme der Stammzellenforschung sowieso irrelevant." (HAZ ebda.)  

Gehen aber das Elend auf der Erde und die Stammzellenforschung, die zur Tötung von Embryonen führt, auf den gleichen Grund zurück, die Verwertung des Werts und seiner Mechanismen, dann kann es eine wirkliche Lösung dieser Probleme nur geben, wenn die kapitalistische Produktionsweise abgeschafft wird. 

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Datum der letzten Korrektur: 25.09.2008