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      August 2004 
      
              Gehirn und Geist.  
        Wie aus Materie Bewusstsein  entsteht. 
              Aus dem Englischen von Susanne Kuhlmann-Krieg. Mit 40 Abbildungen, München2004  (dtv).
        
      
       Wie entsteht Bewusstsein?  Was sind die neuronalen Korrelate unseres Denkens? Wie sind neuronale Prozesse für  die bewusste Erfahrung verantwortlich? Was ist unter subjektiven Erlebniszuständen,  z.B. wenn wir rot sehen, die so genannten Qualia, auf neuronaler Ebene zu  verstehen? Gibt es einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Gehirn und  Bewusstsein oder ist dieser Zusammenhang stets individuell? Wer sich mit dem  Verhältnis von Geist (allgemeine Bedeutung/immateriell) und Materie beschäftigt  hat, wird sich diese oder ähnliche Fragen schon einmal gestellt haben. Sie  behandeln eines der wesentlichen Aspekte unseres Menschseins und unseres  Weltverständnisses. Es sind nicht nur Fachfragen einer hochspezialisierten  Wissenschaft, sondern sie sind von allgemeinem Interesse. Das Besondere an  diesem Buch ist seine strenge Wissenschaftlichkeit, die sich darin ausdrückt,  dass die Autoren ihre Vermutungen klar als Hypothesen kennzeichnen (was bei  einigen Scharlatanen in diesem Gebiet durchaus nicht üblich ist),  wissenschaftlich genau argumentieren (soweit es um ihre Fachwissenschaft geht)  und ihre Überlegungen auf experimentellen Resultaten basieren. Edelman ist  Biochemiker und Mediziner (Nobelpreisträger) und Tononi ist Professor für  Psychiatrie. Dennoch können auch sie das Dilemma der Hirnforschung nicht  umgehen. Dieses besteht in der Tatsache, dass jede Erforschung der neuronalen  Grundlagen unseres Denkens dieses Denken immer schon voraussetzt, ja  Hirnforschung selbst schon Denken ist mit allen seinen logischen und anderen  Implikationen: Das Gehirn erforscht sicht sozusagen selbst! Insofern gehört  diese Wissenschaft nicht nur zu den Naturwissenschaften, sonder auch zum  wissenschaftlichen Selbstbewusstsein (Philosophie).  
       Der Rezensent ist  kein Gehirnforscher, seine Darstellung muss deshalb laienhaft   in Bezug auf den naturwissenschaftlichen Aspekt bleiben. Dennoch ist eine  sinnvolle Besprechung möglich, da die Autoren den Anspruch haben einem  breiteren Publikum einen Einblick in die aktuelle Diskussion der Gehirnforschung  zu vermitteln. Das geht schon daraus hervor, dass die beiden Gehirnforscher  systematisch den Leser in den Stand der Hirnforschung geleiten. Um diese zu  verstehen, muss er sich aber etwa 20 wissenschaftliche Fachbegriffe aneignen (die ihm manchmal allzu didaktisch präsentiert  werden) und zumindest für ein  Kapitel mathematisches Vorwissen mitbringen. Da die Hirnforschung, wie der Titel  des Buches verrät, zwangsläufig auch philosophische Fragen behandelt, wird  sich unser Schwerpunkt auf diesen Teil legen. Der Rezensent kommt von der  Philosophie her und kann dadurch wohl die expliziten philosophischen Thesen und  die geheimen philosophischen Implikationen der Autoren beurteilen. Eine dieser  Implikationen, die der Rezensent mit den Forschern teilt, ist die selbstverständliche  Rationalität, die keine göttlichen Hilfskonstanten benötigt.  
       Im ersten Kapitel  gehen die Autoren auf den so genannten „Weltknoten“ ein, indem sie sich –  philosophisch etwas flapsig – sowohl von einen strengen Dualismus, wie sie ihn  bei Descartes sehen, distanzieren als auch vom einem „extremen  Reduktionismus“, wie er etwa bei Thomas Huxley vorkommt, abwenden. Im  Folgenden wird der Leser in die Struktur des Gehirns eingeführt, es werden die  neuronalen Aktivitäten beschrieben, die Basis des Denkens und anderer Vorgänge  im Gehirn sind. Auch auf die Selektion in der Evolution wird eingegangen und  bestimmt, was Wahrnehmung und „Erinnerte Gegenwart“ neuronal heißen kann  bzw. heißen könnte. Die Autoren unterscheiden ein primäres Bewusstsein, wie  es auch bei den höheren Säugetieren vorhanden ist, und ein höheres  Bewusstsein, das an symbolisierte Gedanken gebunden ist wie Begriffe,  Wertvorgaben, Selbstbewusstsein und Gedächtnis, die auf diesen Begriffen  beruhen. (S. 140 ff.)  Dieses höhere  Bewusstsein kommt nur den Menschen zu und war ein Selektionsvorteil in der  Geschichte der Evolution. Nach diesen grundlegenden Darstellungen entwickeln die  Autoren ihre Vorstellung von einem neuronalen Korrelat des menschlichen  Bewusstseins.      
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      „Bewusstsein ist weder  ein Ding noch eine einfache Eigenschaft.“ (196)   Seine neurale Basis ist nicht diese oder jene Gehirnregion, sondern ein  „funktionales Cluster“, d.i. ein verzweigtes Netz von neuronalen Zusammenhängen,  das sich ständig ändert, also dynamisch ist, und hoch komplex sein muss. Der  Grad der Komplexität, ein Begriff, der oft ausdrückt, dass man nichts Genaues  weiß, aber von den Autoren genau bestimmt ist, dieser Grad der Komplexität ist  entscheidend, ob der Mensch sich etwas bewusst wird oder nicht.  
       „Wir bezeichnen  einen solchen Cluster von binnen Sekundenbruchteilen stark untereinander  wechselwirkenden Neuronengruppen mit distinkten Funktionsgrenzen gegenüber dem  übrigen Gehirn als ‚flexibles oder dynamisches Kerngefüge’ (dynamic core),  womit gleichzeitig seine Integriertheit und seine konstant veränderliche  Zusammensetzung betont werden soll. Ein flexibles Kerngefüge ist somit ein  Prozess, keine Ding oder Ort, und definiert ist es über seine neuralen  Wechselwirkungen, nicht über eine besondere neurale Lokalisierung, seine Verknüpfung  oder Aktivität. Zwar wird es über eine gewisse räumliche Ausdehnung verfügen,  aber  diese wird in der Regel nicht  fest umrissen sein, sich in ihrer Zusammensetzung unablässig ändern und daher  nicht an einem einzigen Platz im Gehirn dingfest zu machen sein. Außerdem, so  unsere Voraussage, wird ein funktionaler Cluster mit solchen Eigenschaften nur  dann mit dem Entstehen bewusster Erfahrung assoziiert sein, wenn die in ihm  ablaufenden reentranten Interaktionen von hinreichender Differenziertheit sind,  dies wiederum schlägt sich in seiner Komplexität nieder.“ (197)  
       Dieses flexible  Cluster hat seinen Sitz vor allem im Großhirn und dem Thalamus. Ein weiteres  Merkmal dieses funktionalen Clusters ist seine Privatheit. Zwar sind bestimmte  Vorgänge wie z.B. Sehen an feste Neuronen gebunden, aber ein funktionales  Cluster soll keine Person mit einer anderen teilen. Hinzu kommen noch die  Merkmale der Kohärenz der Bewusstseinszustände, die so etwas bewirken wie die  „Einheit des Bewusstseins“ (200), ein hoher Informationsgehalt bewusster  Erfahrung, eine globale Verfügbarkeit von Informationen, eine Flexibilität und  die Fähigkeit zu lernen und auf unerwartete Assoziationen zu reagieren. Die  Dynamik des funktionalen Clusters führt zu einer seriellen Organisation  bewusster Erfahrung, so dass Bewusstsein sich als kontinuierlicher, aber dennoch  permanent verändernder Prozess erweist. (208)    Dieser funktionale Cluster oder dieses „Kerngefüge“ ist in vielfältiger  Weise verbunden mit Gehirnregionen, die unser Langzeitgedächtnis enthalten oder  das „spezielle Werte-Kategorie-Gedächtnis im Stirn-, Schläfen- und  Scheitellappenarealen“, das vorherige Werteerfahrungen enthält. Ebenso gibt  es eine reentrante Beziehung zum Brocaschen Feld und den Wernickesschen  Sprachzentrum, die Bereiche, die in unbewussten Routineabläufen uns Begriffe  beim Sprechen zur Verfügung stellen. „Unbewusste Routineabläufe können als  Folge bewusster Leistungen ineinander verschachtelt oder in Serie geschaltet  werden und sensomotorische Schleifen hervorbringen, die zu dem beitragen, was  wir als Globalkartierungen bezeichnet hatten.“ (241)   Eine solche Beziehung besteht auch zwischen dem Bewusstsein und den  Teilen des Gehirns, welche die motorische Routine der Bewegung in Gang halten.  
       Haben Tiere nur ein  primäres Bewusstsein, das aus reentrant verkoppelten Schleifen zur Verknüpfung  des „Werte-Kategorien-Gedächtnisses“ mit der aktuellen  „Wahrnehmungskategorisierung“ besteht, so hat der Mensch ein Bewusstsein höherer  Ordnung, das vor allem auf der Fähigkeit zu symbolischen Bedeutungen und  Semantik begründet ist. „Wie im Falle des primären Bewusstseins bildete auch  bei der Evolution von Bewusstsein höherer Ordnung die Entwicklung eines  besonderen Systems von reentranten Verknüpfungen – dieses Mal zwischen den für  Sprache zuständigen Gehirnsystemen (...) und den bestehenden begriffsbildenden  Regionen des Gehirns – ein Schlüsselereignis. Die Entstehung dieser neuralen  Verknüpfungen und das Erscheinen von Sprache machten eine Bezugnahme auf innere  Zustände, Gegenstände und Ereignisse mit Hilfe von Symbolen möglich. Die  Aneignung eines ständig wachsenden Lexikons so gearteter Symbole vermittels  sozialer Interaktionen – die sich übrigens ursprünglich vermutlich auf die  pflegende, emotionale Beziehung zwischen Mutter und Kind gründeten – ließ  innerhalb eines jeden individuellen Bewusstseins die Unterscheidung des eigenen  Selbst möglich werden. Mit dem Aufblühen erzählerischer Fähigkeiten und  deren Einfluss auf das linguistische und begriffliche Gedächtnis bildete das  Bewusstsein höherer Ordnung den Nährboden für einen Begriff von Gegenwart und  Zukunft in Bezug auf dieses Selbst und das anderer.“ (264 f.) Wenn die Serie  der funktionalen Cluster nicht ein durch biologische, vom Gehirn ausgehende oder  von der Außenwelt durch Stimuli verursachtes Chaos sein soll, dann muss es so  etwas wie Kontinuität, Erinnerung, Gegenwartsbewusstsein und Planung in die  Zukunft hinein geben. Dies setzt aber ein steuerndes Subjekt voraus, auf wie  viel Routineabläufe es sich auch immer stützen kann. Beim Tier mit primären  Bewusstsein beruht dies vor allem auf Instinkt und lebensgeschichtlich  akkumulierte Routinehandlungen. Beim Menschen tritt aber ein Bewusstsein höherer  Ordnung hinzu. Es bildet sich ein Subjekt dieser Kontinuität, ein  Ich-Bewusstsein oder Selbst heraus. Im Gegensatz zu Wolf Singer, der in solchen  Begriffen nur Illusionen unseres Gehirns sieht, setzen die Autoren zurecht eine  solches Selbst voraus und erklären es mit der begrifflichen Fähigkeit des  Gehirns, die es ermöglicht, innere Zustände zu benennen und damit zu  unterscheiden.      
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       „Mit dem Auftreten  von Bewusstsein höherer Ordnung durch Sprache kommt es zu einer bewusst  erlebten Kopplung von Gefühlen und Werten, die in Emotionen münden, deren  kognitive Komponenten von der betreffenden Person – dem Selbst – erfahren  werden. Wenn diese Kopplung stattfindet, werden die bereits komplexen Ereignisse  des mentalen Lebens I mit jenen des noch komplexeren mentalen Lebens II  verquickt. Daraus ergibt sich eine wahre Subjektivität von narrativen und  metaphorischen Fähigkeiten mit Konzepten wie Selbst, Vergangenheit und Zukunft,  in einem komplexen Geflecht aus Überzeugungen und Wünschen, das ausgesprochen  und anderweitig ausgedrückt werden kann. Fiktion wird möglich. (...) Vor  diesem Hintergrund der zusätzlichen Macht, die Sprache einem solchen selektiven  System verleiht, kann durch die Entwicklung eines bewussten Selbst aus zunächst  diffus wirksamen Werten Bedeutung erwachsen.“ (280 f.)   
       Die  wissenschaftliche Basis für diese Hypothesen der Autoren sind einmal die  bereits vorliegenden experimentellen Resultate der Hirnforschung, zugleich  sollte diese Hypothese, Bewusstsein als ein funktionales Cluster, den Rahmen für  weitere Experimente abgeben. Und selbstverständlich geht in die Ansicht der  Autoren auch die Selbstbeobachtung von Menschen ein, die ihre Denkprozesse  formulieren, etwa in der Psychiatrie, nicht zuletzt die Selbstbeobachtung der  Schreiber selbst. Bei allem Fortschritt, den die Hirnforschung in den letzten  Jahrzehnten erreicht hat, müssen die Autoren, die den gegenwärtigen Stand  dieser Forschung zusammenfassen wollen, sich eingestehen, in entscheidenden  Fragen wenig zu wissen. „Was geht in unserem Kopf vor, wenn wir einen Gedanken  haben? Trotz aller Fortschritte in den Neurowissenschaften lässt sich die  Tatsache nicht leugnen, dass wir die Antwort hierauf noch immer nicht in  hinreichender Detailliertheit kennen.“ (273)   Insofern ist die Beschreibung des folgenden konkreten Gedankens teilweise  realistisch, teilweise hypothetisch und teilweise fiktional. Einer der Autoren,  der in seine Küche geht, um etwas zu trinken, wird daran erinnert, dass er noch  einkaufen muss. Dies soll sich in seinem Gehirn dabei abspielen:  
       „Zunächst einmal  sind Basalganglien, Kleinhirn und Motorcortex damit beschäftigt, mich in die Küche  gehen und unbewusste Routinehandlungen wie das Aufdrehen des Wasserhahns vollführen  zu lassen. Während ich mich bewege, senden Globalkartierungen Signale an meinen  Körper, meine Arme und Beine, deren ich mir großenteils ebenfalls nicht  bewusst werde. Eine Reihe von reentranten Wechselwirkungen zwischen meinen  visuellen Karten, meinen Scheitellappen und verschiedenen Stirnlappenarealen  sind daran beteiligt, die Zeigerstellung auf dem Ziffernblatt augenscheinlich in  Zeit zu übersetzen. Die Aktivität des dynamischen Kerngefüges lässt ein  komplexes zusammenhängendes Szenario und gleichzeitig Bilder von meinem Körper  erstehen. Ich werde in diesem Augenblick von einer heftigen Wallung erfasst –  ein Gefühl leichter Furcht aus dem mentalen Leben I, das auf der Ebene des  mentalen Lebens II zu einer Emotion mit allen notwendigen kognitiven Komponenten  verdichtet wurde: Furcht: ‚Der Laden könnte bereits geschlossen sein.’  Aufsteigende Bewertungssysteme – der Locus coeruleus, verschiedene Kerne im  unteren Stirnhirn, die Raphekerne und der Hypothalamus – schütten eine  besondere Neurotransmitterkombination aus, die den jeweiligen Stellenwert der  verschiedenen Signale reflektiert. Das Kerngefüge muss die neuralen  Konsequenzen dieser Aktivität registrieren – Gefühle, Perzeptionen und  Erinnerungen.   
         An diesem Punkt kommt es vielleicht zu einem expliziten  Rückgriff auf die Sprache als Ausdruck wahrhaft subjektiven emotionalen  Erlebens: die (womöglich laut ausgesprochene) Feststellung: ‚Verflixt! Ich  muss noch einkaufen!’ Mit diesem Satz ist das gesamte System des Sprachgedächtnisses  in Aktion getreten und wird innerhalb des Kerngefüges spezifisch an den mit ihm  verbundenen Schläfenlappen gekoppelt, der Begriffsfindung halber   obendrein an das Stirnhirn und über bestimmte Ausgangsportale wieder mit  den Basalganglien, die mich meinen Plan, in die Garage zu gehen, umsetzen  lassen, schließlich und endlich lässt der Motorcortex seine Signale folgen.“  (278 f.)  
       Von der Philosophie  ausgehend erscheint der von Edelman und Tononi dargestellte Stand der  Hirnforschung mehr oder weniger als irrelevant. Philosophie wie jede  Wissenschaft hat es mit allgemeinen Resultaten des Denkens zu tun, die der Logik  unterstehen. Logik aber sagt wie wir denken sollen, damit (zumindest formal)  Wahrheit möglich wird. Die Psychologie und die Hirnforschung hat es mit dem Fühlen  und Denken zu tun, das tatsächlich abläuft. Es ist unwichtig für die  Wissenschaft, wie der Strom des Denkens abläuft, wenn nur überhaupt das Denken  fähig ist, wissenschaftliche Resultate zu produzieren und zu reproduzieren.  Dass es dazu fähig ist, zeigt das bisher angehäufte Wissen. Insofern ist ihre  Aussage: „Die Epistemologie sollte ihre Basis in der Biologie haben,  insbesondere in der Neurobiologie“, abzulehnen, da sie gegenstandslos ist.  
       Das Verdienst von  Edelman und Tononi ist es zu zeigen, die Hirnforschung birgt keine Argumente,  die Rationalität oder den freien Willen ausschließen. Sie begehen nicht den  Fehler wie Wolf Singer, von partiellen Erkenntnissen einer Einzelwissenschaft  allgemeine Einsichten zu eliminieren (siehe unsere Kritik in: „Gibt es einen  freien Willen“). Im Gegenteil fragen die Autoren: Wenn wir Denken, ein  Selbstbewusstsein haben, eine Entscheidung fällen, was läuft dann in unserem  Gehirn ab. So z.B. ist schon das Empfinden der Farbe Rot unmöglich, ohne eine  Entscheidung, die diese Farbe aus einer Vielfalt von anderen Farben auswählt.  Denn Rot ist nur erlebbar, wenn es von Grün, Blau, Gelb usw. unterschieden  wird. Sind diese Farben in der aktuellen Sinneswahrnehmung nicht vorhanden, dann  muss Rot mit anderen Farben im Gedächtnis (oder Vorstellungsvermögen)  unterschieden werden. (Ein Mensch, der sein Leben lang nur Rot sähe, könnte  gar nicht die Qualität dieser Farbe beurteilen oder empfinden.) „Die  subjektive Erlebnisqualität der reinen Rotempfindung entspricht einer Auswahl  oder Entscheidung, die unter all den Milliarden möglichen anderen Zuständen  innerhalb desselben neuralen Raumes getroffen wurde. Zwar sind Neurone, die auf  Rot reagieren, mit Sicherheit notwendig, aber sie sind eindeutig nicht  hinreichend. Die bewusste Erlebnisqualität, die dem subjektiven Erleben des  Anblicks der Farbe Rot entspricht, erhält ihre volle Bedeutung erst, wenn man  sie im entsprechenden, sehr viel größeren neuralen Bezugsrahmen betrachtet.  (...) Unserer Hypothese zufolge setzt die Wahrnehmung der Röte von Rot eine  definitive Unterscheidung zwischen verschiedenen integrierten Zuständen des  gesamten dynamischen Kerngefüges voraus und kann niemals einfach auf magische  Weise aus dem Feuern einer einzelnen Gruppe von Neuronen mit gewissen lokal  besonderen intrinsischen Fähigkeiten hervorgehen.“ (229)     
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       Da, wo die Autoren  sich auf das Gebiet der Philosophie wagen, sind ihre philosophischen   Reflexionen teilweise flapsig, teilweise unmethodisch, teilweise als  Hypostase biologischer Einsichten zu bewerten. Ihr Biologismus drückt sich vor  allem in der Forderung nach einer „biologisch begründete(n) Epistemologie“  (295) aus, wobei „Epistemologie“ „sich mit den Grundlagen und der  Rechtfertigung unseres Wissens und unserer Überzeugungen befasst“ (294).   Soll darunter mehr verstanden werden, als dass Denken auch auf der  Biologie des Gehirns beruht, dann haben sie das entscheidende Problem, wie  objektive allgemeingültige Erkenntnisse bestehen können, wenn doch unser  Gehirn in einem ständigen Prozess ist, der noch dazu durch individuelle  Eigenheiten (Privatheit) gekennzeichnet ist, gar nicht angesprochen. Die  grundlegende Frage der recht verstandenen Epistemologie, wie sind synthetische  Urteile a priori möglich (Kant), lässt sich nicht mit der Gehirnbiologie  beantworten. (Diese könnte, wenn sie denn weiter fortgeschritten ist, lediglich  aussagen, warum dieser oder jener Mensch nicht oder noch nicht in Lage ist, etwa  höhere Mathematik zu verstehen.) die Autoren trennen in ihrer Argumentation  nicht klar zwischen empirisch beobachtbaren Phänomenen und den logischen  Voraussetzungen von Wissenschaft. Dies führt zu einem neopositivistischen  Skeptizismus, dem alles nur Hypothese, Überlegung, Angedachtes ... ist, dem  aber wahre Aussagen fremd sind – obwohl die Autoren Aussagen auch als  kategorische präsentieren. Mit anderen Worten sind die philosophischen  Konsequenzen, die Edelman und Tononi aus ihrem fachspezifischen Einsichten  ziehen, amateurhaft, durch Unwissenheit der philosophischen Tradition  gekennzeichnet und dementsprechend nicht auf dem avancierten Stand des  philosophischen Denkens, sie sind eben das, zu was sie die Philosophie machen:  zum „Hang (...) Fragen nach den letzten Bedeutungen der Dinge zu stellen“  (294).  
       In ihrem Titel  versprechen Edelman und Tononi die Frage zu klären: „Wie aus Materie  Bewusstsein entsteht?“ Hier ihre zusammenfassende Antwort: „(...) wie steht  es mit dem Geist, der das Denken hervorbringt? Die Antwort lautet, dass dieser  gleichermaßen materiell und mit einem Bedeutungsinhalt versehen ist. Für den  Geist als Netzwerk von Beziehungen gibt es eine materielle Basis: Das Wirken  Ihres Gehirns und all seiner Mechanismen von ganz unten bis nach ganz oben, von  den Atomen bis hin zum Verhalten, resultiert in einem Geist, der sich mit  Bedeutungen befassen kann. Während dieser Geist solche immateriellen  Beziehungen schafft, die er selbst und andere Geister zu erkennen vermögen,  wurzelt er dennoch gleichzeitig ganz und gar in den physikalischen Prozessen,  die seinem eigenen Wirken, dem anderer Geister und all jenen Ereignissen, die  Teil einer Kommunikation sind, zu Grunde liegen. Es gibt keine zwei vollständig  voneinander getrennten Domänen der Materie und des Geistes und keine Basis für  einen Dualismus. Doch offenbar gibt es ein durch die physikalische (muss wohl  heißen ‚physische’, d. Rez.) Ordnung von Gehirn, Körper und sozialer Welt  geschaffene Sphäre, durch die Bedeutung geschaffen wird. Diese Bedeutung ist  sowohl für unsere Beschreibung der Welt als auch für unser wissenschaftliches  Verständnis von dieser unerlässlich. Es sind die unglaublich komplexen  materiellen Strukturen des Nervensystems und des Körpers, aus denen dynamische  mentale Prozesse und Bedeutung hervorgehen. Nichts anderes ist vonnöten (Hervorheb. v. Rez.) – keine anderen Welten oder Geister, auch keine außerordentlichen  bislang unerforschten Kräfte wie die Quantengravität.“ (300 f.)  
       Geist, Bewusstsein  ist Bedeutung und immateriell, das Gehirn ist physisch, wird durch die  Naturwissenschaften Physik, Chemie und Biologie erforscht und ist materiell. Der  Geist hat seine materielle Basis im Gehirn. Aber Geist ist nicht materiell wie  die Autoren andeuten („wurzelt er doch ganz und gar in den physikalischen  Prozessen“). Nur soweit Geist an Materie gebunden ist, Bedeutung ist, stimmen  wir den Autoren zu. Geist oder Bewusstsein ist aber mehr als nur Bedeutung. Wenn  die serielle Abfolge des dynamischen Kerngefüges (Cluster)   im Gehirn zu einer Kohärenz der Bewusstseinszustände führt, eine  Einheit des Bewusstseins entstehen lässt, gezielte Aufmerksamkeit, Planung usw.  möglich sind, die durch Bedeutungen bestimmt sind, dann kann der Geist nicht  nur Bedeutung sein, sondern muss selbst Einfluss nehmen auf die serielle Abfolge  der dynamischen Kerngefüge, vor allem unter der Voraussetzung, die die Autoren  explizit machen, dass immer nur ein dynamisches Kerngefüge aktuell wirksam sein  kann (mit Ausnahme von Schizophrenie). Alle im Gehirn ablaufenden  zielgerichteten Prozesse, und nur die sind evolutionär von Vorteil gewesen,  setzen ein aktiv handelndes Selbst voraus, das nicht materiell sein kann. Denn  dann müsste es selbst wieder solch ein Cluster sein, das wiederum von einem  anderen Cluster angeleitet würde usw., was zu einem Progress ins Unendliche führte.  Reflexion, Freiheit, Willensfreiheit, Kreativität, Denken von Zukünftigen,  Planung, die einem Bewusstsein, Geist, Selbst oder Subjekt, das zielgerichtetes  Denken und daraus fließende Handlungen steuert, zugestanden werden muss, kann  nur immateriell gedacht werden. Seine Basis oder seine Spuren im Gehirn sind  naturwissenschaftlich vielleicht erforschbar, seine Wirkung auf das materielle  Gehirn und damit auf den übrigen Körper aber bleibt ein mysterium stricte  dictum.      
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