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bis 2004 Titel

Burghard Müller:
Schlussstrich. Kritik des Christentums

Springe 2004 (zweite Auflage, zu Klampen). 

Die Kritik des Christentums ist bereits gründlich im 18. und 19. Jahrhundert geleistet worden, die Gottesbeweise gar bis zum 14. Jahrhundert widerlegt. Genügt es nicht, die Dokumentation dieser Kritiken für die heutige Generation? Warum noch eine Kritik des Christentums? Genügt es nicht, die faktischen Verbrechen und die ideologischen Erscheinungen der letzten Jahrhunderte kritisch darzustellen, etwa wie dies Karlheinz Deschner macht? (Vgl. auch die „Erinnyen“ Nr. 3) 

 Burkhard Müller verneint diese Frage, er will seine Kritik „allein auf das Christentum konzentrieren, nicht als eine Praxis, sondern als eine Forderung, als Idee; zunächst ohne daß an die Kirche gedacht wäre, aber doch in der Zuversicht, daß wenn dieser Fels wankt, das darauf Gebaute schon mitstürzen wird.“ (S. 14)  Er kritisiert die Methode von Deschner, diese laufe ins Leere, denn jeder Christ wisse um die Fehlbarkeit des Menschen, auch sei der Maßstab kein historischer, sondern die heutige Ansicht von Strafwürdigkeit. Auch Nietzsches Antichrist ist für Müller bestenfalls eine „apokalyptische Frechheit“, aber keine zersetzende Kritik. „Weiß Nietzsche denn nicht, was der Antichrist für eine Figur ist? Es wäre schon einfältig, sich so sehr über die bloße Antithese der Sache festlegen zu lassen, der man ans Leder will; aber der Antichrist im besonderen ist ja noch nicht einmal das, sondern von Anbeginn bestimmt, niedergeworfen zu werden, sein Zweck erschöpft sich darin, es aufs Äußerste zu treiben und das Geschwür der Welt zur Reife zu beschleunigen, damit der wiederkehrende Christus es aufsteche.“ (S. 7)  Müller will Hass, Spott und Ekel bei seiner Kritik vermeiden und die Mythologie des Christentums mit den methodischen Affekt der „Verwunderung“ angehen. Dennoch spürt man die Verve, hier schreibt sich einer die Mythen seiner Kindheit vom Hals.

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 Die Fülle seiner Reflexionen kann in dieser Rezension nicht ausführlich wiedergegeben werden, auch wären hier und da mehr kritische Anmerkungen im Einzelnen nötig, deshalb ist das Folgende nur eine kleine Auswahl des Inhalts. Müller will das Christentum „im Zentrum treffen“. So kritisiert er den Zusammenhang von Ethos und Glauben. „’Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden das Land erben’ usw. die Erinnerung an den Lohn für das sittliche Verhalten fehlt nirgends, zumeist erfolgt sie in ganz plumper Form; eine unbelohnte Sittlichkeit ist dem Neuen Testament unvorstellbar. Die Moralität der Evangelien ist durch und durch von den Verhältnissen der Kapitalsphäre gefärbt, die zu deren Entstehungszeit doch noch keineswegs alle Lebensbereiche so wie heute geprägt hat. ... den Geist des Evangeliums bringt erst die bürgerliche Neuzeit zu seiner gesellschaftlichen Wirksamkeit. Die angebliche ethische Radikalität erweist sich als der Rat, in der anhaltenden konjunkturellen Flaute auch unter Opfern zu investieren, weil man sich gegenwärtig so günstig wie nie wieder einkaufen kann. Das christliche Ethos aber bleibt auf den Glauben so angewiesen wie das Geschäftsgebaren der Firmen auf den Kredit.“ (S. 17 f.)  Ein Verhalten aber, dass der Berechnung entspringt, ist von vornherein unsittlich. Dem stellt Müller die verhältnismäßig rationelle Struktur des Dekalogs gegenüber. Ebenso ist das neutestamentliche Gebot: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“, unerfüllbar, es gebietet, was nicht geboten werden kann. Gefühle lassen sich nicht gebieten. Ein solches Gebot ist, wenn man es befolgen wollte, eine Überforderung des Menschen und damit praktisch von vornherein unwirksam, eher Anlass zur Heuchelei als zum Handeln. „Das universale Liebesgebot läuft dem Wesen der Liebe zuwider. Denn was wäre die Liebe wenn nicht die dem Liebenden selbst unbegreifliche Bevorzugung des Geliebten vor den Anderen? Der Geliebte ist ausgezeichnet unter Allen. Alle zu lieben, das ist eine Forderung, der nur eine unendliche Potenz nachkommen könnte“. (S. 22) Allerdings könnte man hier einwenden, dass bei Müller eine Äquivokation im Begriff der Liebe vorliegt, einmal als romantische Liebe, die er zu unterstellen schein, und Liebe als Hilfsbereitschaft, Wohlgesonnenheit, als praktisches Wohltun, wie es wohl im Alten und Neuen Testament gemeint ist. Müller spricht diese Variante auch an, wenn er Paulus unterstellt, sein Liebesbegriff meine „eine Art administrativen Kitt, der seine Gemeinden zusammenhält“ (S. 23).

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 Weiter zeigt Müller die Widersprüche auf, die in Begriffen wie der Gnade, der Prädestination, der Unsterblichkeit, des Paradieses oder des Glaubens liegen. Über die typische Gereiztheit des Glaubens schreibt er: „Das religiöse Gefühl, sagt Karl Kraus, betätige sich nicht so sehr im Abnehmen als im Herunterschlagen des Huts; und es ist schwer zu sehen, was der Glaube mit sich selbst anfangen sollte, wenn er nicht allezeit seine Ungläubigen, Ketzer und Apostaten fände, die das Andere, das er in sich birgt, ihm von außen zeigen und ihn so davon erlösen. Daran geben sich jene Religionen zu erkennten, an die geglaubt werden muß (denn an die weitaus meisten Religionen muß nicht geglaubt werden, sie verständigen sich mit ihren Anhängern auf andere Weise): sie missionieren oder schlagen tot“ (S. 34). 

 Für Müller steht fest, dass das Christentum als Mysterienreligion „den ziemlich frechen Synkretismus aller möglichen Mysterienreligionen darstellt, von der simplen Überlegung ausgehend, daß, wenn Demeter durch das Brot, Dionysos durch den Wein und Attargatis durch den Fisch mächtig ist, ein Gott, der Brot, Wein und Fisch hat, am allermächtigsten seine muß; worin es sich schließlich auch nicht getäuscht hat.“ (S. 48) 

 In der Gestalt Jesus setzt sich das Christentum der Historie aus bis hinein in das Glaubensbekenntnis. Gesetzt den Fall, es tauchten irgendwo neue Qumran-Rollen oder ähnliches auf, aus denen zweifelsfrei hervorginge, daß Jesus von Nazareth nicht unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, sondern beispielsweise im Alter von sechzig Jahren in einem Essener-Kloster starb (...) – was wird dann aus dem Credo?“ (S. 51)  Der historische Jesus ist bisher nicht zweifelsfrei nachweisbar, das Individuelle, Zufällige, Historische des Jesus ist aber zu einem  Teil Gottes gemacht worden. Solche Widersprüche werden durch die historisch-kritische Methode, der sich das Christentum nicht entziehen kann und die es deshalb versucht in Beschlag zu nehmen, aufgedeckt mit der Folge, dass die heiligen Schriften sich als gar nicht einmal so raffinierte Menschenwerke entlarven. „Die Theologie dachte mit der historisch-kritischen Methode ein Loch zu stopfen, aber was sie stattdessen tat, war, eine Laufmasche in den Text zu reißen, die ihn nun bei jeder gewollten oder ungewollten Bewegung ein Stück weiter auftrennt; es gibt da kein Halten mehr.“ (S. 53)

 Was ist aber, wenn man rein literarisch die Texte des Neuen Testamentes als schöne Märchen liest? Dann zeigen sich vielleicht Einsichten, die Müller als Kritiker des Christentums ausblenden muss, als Literaturwissenschaftler hätte er aber durchaus einen Gewinn daraus ziehen können – jenseits des Christentums. Man denke nur an die Deutung der Trinität in Hegels Logik, oder die Verherrlichung menschlicher Kreativität, die in der Idee der unbefleckten Empfängnis bzw. der Geburt von Gottes Sohn liegt. Als biologische Behauptung ist das Blödsinn, so wie realistisch gesehen, das Tischlein deck dich Blödsinn ist, aber als Bild gedeutet ist es die menschliche Schöpfung aus dem Geist, die Formung des Materials durch die Idee des Künstlers so wie der Tisch im Märchen eine Welt ohne Hunger vorwegnimmt. Diesen Gehalt herauszubringen ist aber nicht das Thema des Autors.

 Burkhard Müllers Buch ist allen denen zu empfehlen, die sich vom Christentum lösen und das auf eine immanente Kritik gründen wollen. Das platte Bestreiten des Gottesglauben ist in unserer reflektierten Zeit für denkende Menschen zu wenig, es besteht die Gefahr in neuen Aberglauben abzurutschen. Dies zu verhindern ist Müllers Buch notwendig.

(Vgl. auch zu diesem Thema: Gewalt und Religion)

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Datum der letzten Korrektur: 25.09.2008