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Beiträge des Jahres 2004

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Unverschämtheiten

Manchmal kotzt es einen an, in diesem Land leben zu müssen. Da tröstet es nur wenig, dass es anderswo auch nicht besser ist. Zur Zeit häufen sich aber die Unverschämtheiten, die anscheinend von den meisten Leuten als normal hingenommen werden. Existieren die kapitalistischen Medien von den Unverschämtheiten, indem sie Personen herausnehmen, deren korruptes Verhalten dann zur Sensation aufgebauscht, quasi individualisiert wird, so heben wir die strukturellen Unverschämtheiten hervor. Wir haben einige Aspekte aufs Korn genommen, die unserem Bewusstsein als unerträglich erscheinen.
Von Erinnyen Aktuell  veröffentlicht im August  2004
Lohndumping in Deutschland

 Großunternehmen drohen ständig mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins billigere Ausland, um ihre Arbeiterschaft zu erpressen. Wie dieses Lohndumping aussieht, dazu braucht man gar nicht nach Tschechien oder Bulgarien zu fahren. Billiglohn gibt es auch in Deutschland – entgegen dem tariflich festgelegten Mindestlohn, wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ zu berichten weiß:

 „Nach Angaben des Gewerkschaftsfunktionärs hatten die polnischen Bauarbeiter seit mehreren Monaten an der JVA zu Löhnen zwischen 3,80 Euro pro Stunde gearbeitet, während vier türkische Bauarbeiter den gesetzlichen Mindestlohn von 12,47 Euro pro Stunde erhalten hätten. Die Arbeitszeit der Polen habe teilweise mehr als 13 Stunden betragen, obwohl die Firma den Mindeststandard von acht Stunden und den Mindestlohn zugesagt habe. Gewerkschafter Schminke sprach von ‚menschunwürdigen und skandalösen’ Arbeitsbedingungen. So hätten die Arbeiter seit Monaten keinen Urlaub erhalten. Zudem sei die Unterbringung der Bauarbeiter völlig beengt und unzureichend gewesen. Die Arbeitgeber hätten die Polen zudem dazu gezwungen, bei Baustellenkontrollen falsche Angaben über die Arbeitszeit und die Löhne zu machen. Aufgeflogen war der Fall, als zwei Polen am vergangenen Donnerstag bei Hauptzollamt und Gewerkschaft über ihre Beschäftigungssituation ‚ausgepackt’ hatten. Daraufhin habe die Baufirma die beiden Bauarbeiter fristlos entlassen.“  (HAZ, 27.7.04)

 Da ist alles drin, was den Deutschen angedroht wird: Billiglohn, kaum Urlaub, lange Arbeitszeit, Überstunden ohne Zuschlag, schäbige beengte Unterkunft. Der Arbeiter hat seinen Mund zu halten, Kritik und Beschwerden sind verboten. Die Not soll die Arbeitslosen (hier Polen) zwingen, jeden Job anzunehmen. Wer sich beschwert, fliegt raus – ohne Kündigungsschutz. Noch gibt es rechtliche Schranken, hier wird zumindest tariflich ein Mindestlohn garantiert, doch die Politiker arbeiten schon daran, diesen abzuschaffen. Es ist kaum anzunehmen, dass die Unternehmensführung in den Knast einziehen wird, den sie baut – nicht nur weil sie nicht mehr jugendlich ist. Schon gar nicht die Landesregierung, die Bauherr der JVA ist. Darin werden die sitzen, die durch das sogenannte soziale Netz, das immer größere Maschen aufweist, fallen und kriminell werden, wie es die Baufirma schon ist. Hier wird auch die Funktion der Elendsberichte in der Zeitung deutlich: Seht her Proleten, so geht es euch ebenfalls, wenn ihr euch nicht den Forderungen „unserer Wirtschaft“ anpasst, seit froh, dass euch der Lohn nur ein bisschen gekürzt wird.

 Rolltreppe abwärts

 Dass Politiker die Politik machen, ist eine Illusion. Man kann sich heutige Politik der etablierten Parteien als schiefe Ebne oder als Rolltreppe vorstellen. Die Schwerkraft zieht die Politiker nach unten, die Rolltreppe führt nur in eine Richtung – niederwärts. Zwar wagt hier und da ein Politiker einen Schritt nach oben. Er kann sich aber dem Abwärtstrend nicht entziehen, die soziale Schwerkraft ist für die meisten zu stark. Die derzeit aktuelle Stufe nach unten hat Friedrich Merz eingeleitet. Vor ein paar Monaten erst hatte die Bundesregierung das Kündigungsrecht gelockert, schon fordert Merz die Abschaffung des Kündigungsschutzes. Prompt pflichtet ihn der niedersächsische Ministerpräsident bei. Selbstverständlich wird die Rolltreppe abwärts als Voraussetzung für den „Aufstieg“ verkauft. Der Abwärtstendenz wenigsten für die Beschäftigten konnte die Gewerkschaft nach 1989 noch aufhalten, jetzt geht es aber auch den Lohnabhängigen ans Portemonnaie. Das Ziel ist klar: von der „sozialen Marktwirtschaft“ (immer schon ein Propagandabegriff, tatsächlich sind alle sozialen Errungenschaften hart erkämpft worden und kein Geschenk mit Verfassungsrang, wie der Begriff suggeriert) soll es zur freien Marktwirtschaft gehen, d.h. zur unbeschränkten Vorherrschaft des Kapitals über die Menschen. Da fordert ein Politiker, die Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zu verlängern, gleich setzt ein anderer einen drauf und fordert die generelle Abschaffung des Renteneintrittsalters. Da wird die 42 Stundenwoche gefordert, gleich kommt der nächste und fordert die 45 und die 50 Stundenwoche. Da fordert einer die Reduktion der Urlaubszeit um eine Woche, der nächste unterbietet diese Schikane, indem er auf Länder verweist, in denen es  nur 14 Tage oder gar keinen Urlaub gibt. Für eine Senkung der Lohnkosten sind sowieso alle, um dem „Standort Deutschland“ für die „Globalisierung“ fit zu machen. „Unsere Wirtschaft“ (unsere ist es leider noch nicht) braucht „Wachstumsimpulse“. Tatsächlich bedeutet die Senkung der Lohnkosten eine erhöhte Ausbeutungsrate der Lohnabhängigen, jeden Euro, den sie verlieren, wandert auf das Profitkonto des Kapitals. (Ginge es wirklich nur um neue Investitionen, könnte man den Arbeitenden auch Anteilsscheine ihres Betriebes für die Lohnkürzungen ausgeben – das aber will keiner, denn damit wäre ja langfristig die Eigentumsordnung bedroht –, hier offenbart sich die Politik als Klassenkampf von oben.) Dass die Unternehmer den Abwärtstrend zur brutalen Marktwirtschaft begrüßen, liegt in ihrer sozialen Rolle als Funktionäre des Kapitals, dass aber die Politiker fast unisono – Differenzen gibt er nur über das „wie“ – der Rolltreppe abwärts folgen, obwohl sie sich „Sozialdemokraten“, Soziale Union“ und „Volkspartei“ nennen, sich als „Vertreter des kleinen Mannes“ ausgeben, ist eine der Unverschämtheiten, die zwar den Kenner nicht erstaunen – das wäre naiv -, aber doch immer wieder aufregen.

 Ein Denker des 19. Jahrhunderts hat diese schiefe Ebene schon einmal exakt formuliert: Die Gesellschaft wird geleitet von einem Ausschuss der herrschenden Klasse, nicht indem dieser Ausschuss die Politik bestimmt, sondern nur das automatische Subjekt (populär „Wachstum“) exekutiert wie eine Puppe, die den Berg oder die Treppe hinunterhopst. Leider hat dieser Denker in seinen negativen Prognosen immer recht behalten.   

 Betriebsklima

 Bundespräsidenten können auf Grund der Mehrheitsverhältnisse nur prokapitalistische Politiker werden. Dass die bürgerlichen Parteien CDU/CSU und die FDP jetzt einen direkten Funktionär des Weltkapitals zum nationalen Präsidenten gemacht haben, empfinden wir als Unverschämtheit. Anscheinend haben diese Leute alle menschliche Scham verloren und setzen der Bevölkerung einen Menschen vor - was immer er privat für einen Charakter hat -, der ein Wirtschaftssystem rein verkörpert, dass seit mehr als 200 Jahren die Menschen ausbeutet, im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege in Gang gesetzt und den Faschismus hervorgebracht hat und zur Zeit unter dem Begriff „Globalisierung“ verantwortlich ist für Hunger und Elend in der Dritten Welt und Sozialabbau in unserem Erdteil. Welchen Zweck dieser Präsident verfolgt, sagt er selbst: Er will den Deutschen, d.h. den Lohnabhängigen, „Mut“ und „Zuversicht“ vermitteln, den Sozialabbau willig hinzunehmen. Er erzeuge eine „erfrischende Aufbruchsstimmung“, wie Kanzler Schröder sagt, um die Leute zur Mehrarbeit anzutreiben. Er soll das verbale Zuckerbrot für die Peitsche „Agenda 2010“ sein. Mit anderen Worten, er soll zuständig sein für das Betriebsklima in diesem Lande, damit alle ihre täglichen Demütigungen und die Arbeitshetze ertragen und weiter freudig mitmachen.  

 Peter Schneider

 Der Autor Peter Schneider hat einen Artikel im „Spiegel“ (28/04)  geschrieben. Seine Unverschämtheit, als ehemaliger Linker der Republik seine prokapitalistischen Plattheiten aufzutischen, haben wir zu Kenntnis genommen. Sie zu kritisieren ist unter dem Niveau der Zeitschrift „Erinnyen“. 

Gleichschaltung

 Über Talk-Shows wie „Sabine Christiansen” und ähnliche Sendungen wird gesagt, dass sie nur ein Thema haben, Wachstum der Wirtschaft. Ihr Talk bietet Moralisierung statt Kritik, Simplifizierung und Redundanz statt Differenzierung der gegenwärtigen Probleme, Orientierung durch Sentimentalitäten und Tratsch, Unterhaltung als Spielformen von Gefühlen und Sensationen, Schwachsinn von Berühmtheiten. Politik wird zum „Politainment“. Die Öffentlichkeit wird durch die Massenmedien formatiert. Der „Konsum von Klatsch ist das Genießen der Unterwürfigen“. (So Norbert Bolz im „Spiegel“: „Warum Denken unmodern ist“ (6/04).)

Diese Intelligenz des Nettseins macht tendenziell aus dem Publikum intellektuellen Pöbel. Um diese Tendenz zu verstehen, muss man an einige grundsätzliche Wirkmechanismen erinnern. Die Gedanken der herrschenden Klasse sind die herrschenden Gedanken in der Gesellschaft, weil sie über die Mittel zur Produktion und Verbreitung ihrer Gedanken verfügt. So liberal sich auch ein Medienkonzern gibt, indem er verschiedene Tendenzen in seinem Imperium zulässt, antikapitalistische Kritik wird nicht geduldet, bestenfalls verfälschend oder abwertend zitiert. Die Pressefreiheit garantiert jedem seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten, doch gegenüber der geballten kapitalistischen Öffentlichkeit sind z.B. die „Erinnyen“ wie eine Mücke in einer Elefantenherde, kritische Zeitschriften wie „konkret“ erreichen vielleicht die Größe einer Maus. Deshalb ist die erste Bedingung für die Freiheit der Medien, dass sie kein Geschäft mehr sind. 

 Früher während des kalten Krieges gab es Sonntags immer einen internationalen Frühschoppen, in dem vier oder fünf Journalisten aus dem Westen über Politik diskutierten. Ihnen gegenüber saß oft ein Journalist aus dem Ostblock. Natürlich ging dessen Stimme im Konzert der Meinung unter, der Zuschauer übernahm die durchschnittliche Mehrheitsmeinung. Diese Sendung illustrierte vortrefflich Marcuses Begriff der „repressiven Toleranz“. Bei Christiansen ist aus der repressiven Toleranz die Toleranz gegenüber abweichenden Meinungen völlig verschwunden und nur noch eine Linie erlaubt. Die Repression der Meinungsmanipulation ist im wilden Diskutieren um Nichtigkeiten des „Wie“ nicht mehr erkennbar. Die Repression von Meinungen erscheint hier als scheinbare Freiheit, auch die verrücktesten Vorschläge vorbringen zu dürfen, also als Tratsch.

 Der deutsche Faschismus hat versucht die Deutschen im Laufe des Jahres 1933 gleichzuschalten. Alle Rundfunkanstalten, jede Zeitung, über die Schulen, den Gesangverein bis in die Familien hinein (Führerbild und Volksempfänger) sollten alle das Gleiche sagen und  denken. Doch noch 1944 hörten Jugendliche im Radio Jazz von feindlichen Sendern, obwohl darauf die Todesstrafe stand. – Was für eine Stümperei der Nazis! Die heutige Gleichschaltung durch die Medien ist viel effektiver, sie kommt daher unter dem Schein der Meinungsfreiheit. Offensichtlich ist dies geworden im völkerrechtswidrigen Angriff der Nato (einschließlich der Bundeswehr) auf Jugoslawien. Man brauchte nur unisono wahre oder erfundene Greultaten verbreiten, um die Deutschen, die gegen amerikanische Aggressionen gern als friedliebend hingestellt werden, auf den Krieg einzustimmen. Und sieh da, fast die gesamten Medien machten mit. Geht es um das nationale Interesse, funktioniert die Gleichschaltung der Medien besser, als sie mit einer Reichsschrifttumskammer funktioniert hat.

 Hitler hat sich 1938 damit gebrüstet, ohne einen Schuss, allein mit Greulpropaganda drei Millionen Sudetendeutsch heim ins Reich geholt zu haben (und die Resttschechei gleich mit). Hier zeigt sich ein weiteres Prinzip der Gleichschaltung: Wenn die Ziele sowieso vorgegeben sind, dann wird Politik zum Politainment, zur Verkaufstrategie des Unumgänglichen. Man macht Politik um der Propaganda willen, nicht die Propaganda um eigene Interessen durchzusetzen. Wer gewählt wird, ist dann der, der das Politainment am besten kann.

 Die Unverschämtheit, die in dieser Art Gleichschaltung verborgen liegt, geht nicht nur von den Politiker oder den Journalisten aus, auch wenn man dieses Phänomen schon früh als „Verrat der Intellektuellen“ bezeichnet hat, sie geht auch von den Konsumenten der herrschenden Meinung aus, die sich umstandslos gleichschalten lassen. Dies liegt aber nicht an einem anthropologischen Defizit, wie Bolz zu meinen scheint, sondern auch am Verblendungszusammenhang der Gesellschaft selbst. Das Erscheinen der herrschenden Begriffen wie "Profit" ist bereits das Verkehrte, solange man nicht den "Mehrwert" darin erkennt. Wenn man seit Generationen die gleichen Vorurteile, Ideologeme und besetzte Begriffe durch die Bewusstseinsindustrie hört und sieht, dann werden sie zur zweiten Natur. Abweichende Begriffe erscheinen dann als Verrücktheiten. Doch kein Verblendungszusammenhang ist so hermetisch geschlossen, dass er erst in der Katastrophe (wie in der griechischen Tragödie) durchbrochen werden könnte.  

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Bodo Gassmann       (24.10.04)

Der moralische Impuls beim spontanen Streik der Opelarbeiter in Bochum

Resultat des Sozialabbaus ist die Senkung des Lohnniveaus im ganzen Land. Durchgedrückt wird dies von den nationalen Profit-Mullahs, deren einziges Argument die Wiederholung der neoliberalen Ideologie ist. Langlebige Konsumgüter wie z.B. Autos werden weniger gekauft. Die schon lange bestehende Überkapazität der Autokonzerne muss sich vergrößern bis hin zu roten Zahlen, die einige schreiben. Das schwächste Glied dieser Konzerne, gefördert noch durch sogenannte Managementfehler, droht zuerst zusammenzubrechen. Dies ist bei Opel bzw. General Motors (GM) der Fall, der Konzern will in Europa 12 000 Beschäftigte entlassen. (GM hat seit 1998 in den USA ganze Regionen in eine Industriewüste verwandelt.)

 Als Reaktion darauf  streikten die Arbeiter des Opelwerkes in Bochum, das besonders betroffen ist. Vordergründig protestieren sie damit gegen ihre mögliche Entlassung, das Werk soll evtl. ganz geschlossen werden. Doch ein Streik um Arbeitsplätze ist im Rahmen des bestehenden Wirtschaftssystems irrsinnig. Wäre Bochum zur Zeit nicht Zulieferer für andere Werke, die Kapitalseite hätte alle sofort entlassen können. (Vielleicht erst mal durch Aussperrung, dann durch fristlose Kündigung wegen Vertragsbruchs.) Deshalb sind die Ziele des Streiks auch nicht nur im unmittelbaren Interesse an einem gesicherten Arbeitsplatz zu sehen. Den kann man nicht erstreiken, und ich vermute, dass die Arbeiter dies auch wussten.

 Also war dieser Protest auch gegen die kapitalistischen Verhältnisse als Ganze gerichtet. Ihre langfristigen Interessen an der Abschaffung der kapitalistischen Ökonomie, die immer wieder die Lohnabhängigen in die Armut treibt, wären ihnen zumindest genau so wichtig wie ihre kurzfristigen Interessen am Erhalt ihrer Arbeitsplätze, an denen sie sich ausbeuten lassen können, ganz zu schweigen von den 130,- €, die einem streikenden Facharbeiter täglich verloren gehen. Dies jedoch ist die einzige moralische Haltung im Politischen, die es heute gibt. Der spontane Proteststreik der Bochumer Opel-Arbeiter beruht deshalb auf einem moralischen Impuls, den man Wut, Protest, aggressive Stimmung, Klassenkampf nennen kann, er hat einen moralischen Aspekt. Als der Streik abgewürgt wurde durch eine konzertierte Aktion von Betriebsrat, Gewerkschaft, Konzernleitung, Politik und Pfaffen (bei den Abstimmungen hatten die Streikenden kein Rederecht!), stimmten 1700 für eine Fortsetzung des Streiks, 4600 wollten wieder an die Arbeit gehen. Ein Arbeiter sagte in Bezug auf die Kollaborateure mit dem Kapital: „Ich weiß nicht, wann ich einigen Kollegen wieder in die Augen blicken kann“. (Zitiert nach: Spiegel online, vom 20.10.04)  Doch immerhin, mehr als ein Drittel der Bochumer Arbeiter folgte seinem antikapitalistischen Impuls. Das hat es in diesem Land schon lange nicht mehr gegeben.

 Dieses Aufbegehren gegen das kapitalistische System als Ganzes kann man nun hochstilisieren zum Beginn einer neuen Ära, der schlafende Riese Proletariat sei erwacht, wie das in der früheren kommunistischen Bewegung (bzw. ihren heutigen Überbleibseln) der Fall war. Richtig daran ist der propagandistische Effekt solcher Aufmotzung. Aber sein Nachteil überwiegt, er schafft mitunter tödlich Illusionen. Andererseits ist übertriebener Pessimismus, der eigentlich nur dazu dient, wieder einmal Recht gehabt zu haben, wenn es schief geht, ebenfalls nicht angebracht. Wenn man in fast jedem Aufbegehren, das nicht das Niveau der eigenen kommunistischen Theorie hat, eine „bedrohliche Stimmung“, „Wut, gepaart mit Feigheit“ sieht, oder das Bewusstsein der Leute fälschlich reduziert auf die Fernsehideologie: „Ein Land, das Medien hat, braucht keine Zensur mehr“ (alle Zitate  aus Konkret Nr. 11, Nov. 2004), dann fördert man das Scheitern des Protestes. Richtig ist, dass ein moralischer Impuls noch keine durchdachte Handlungsstrategie ist, er bedarf der theoretischen Schärfung. Aber Menschen im Arbeitsprozess lernen nicht nur aus Büchern und Zeitschriften, sondern im Rhythmus ihrer unmittelbaren Erfahrung.

 Deshalb reicht es auch nicht aus, wie die heutigen Trotzkisten fordern, mittels einer Internet-Zeitung eine „neue internationale Arbeiterpartei aufbauen“ zu wollen, es reicht nicht aus, etwa wie die „Erinnyen“ oder die „Arbeiterstimme“ die eigenen Projekte zu fördern – das alles ist vielleicht nützlich, aber eben doch Handwerkelei. Ideal wäre es, wenn die Arbeiter, denen ich einen moralischen Impuls unterstellt habe, von sich aus stabile Organisationsformen aufbauten, ebenso die jetzt beginnenden Kämpfe bei VW einbezögen usw. und die bestehenden sozialistischen Gruppen sich ihnen zur Verfügung stellten, ohne ihre jeweiligen dogmatischen Positionen ihnen aufzudrängen, sondern sich argumentativ einbrächten. Eine sozialistische, d.h. antikapitalistische, Partei wäre nicht schlecht. Die Zukunft ist prinzipiell offen nach vorn, es gibt Bedingungen, Mechanismen, die man nicht überspringen kann, die man aber ebenfalls verändern kann. Weder ist der Anfang einer neuen Bewegung verbaut, noch muss sie Erfolg haben. Es hängt von den Menschen an, was sie aus ihren Erfahrungen machen.

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Datum der letzten Korrektur: 25.09.2008