PlatonAristotelesEpikurSpinozaLockeKantHegelMarxAdornoMarcuseBloch

Archiv Logo    Titel Logo

Erinnyen Aktuell ButtonPhilosophieseite ButtonSchuledialektik ButtonVereindialektik ButtonBuchladen ButtonWeblog ButtonRedakteur Button


startseite button
buton 2004
2005 Button
2006 button
2007 button
Impressum Button

Newsletter Button

Feed Button

 

2005 Titel

27.10.05

Der Bilderkrieg                        

 Gerhard Paul: Der Bilderkrieg. Inszenierungen, Bilder und Perspektiven der „Operation Irakische Freiheit“, Göttingen 2005 (Wallstein Verlag)

 Anschauung und Begriff oder das Nicht-Darstellbare des Krieges

 Begriffe ohne Anschauung sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Im Krieg der Bilder um den letzten Irakkrieg galt wohl eher der letzte Teil des berühmten Kant-Wortes. Gerhard Paul fordert deshalb auch zurecht am Ende seines Buches die Bildung des Publikums, damit es die Fähigkeit entwickelt, die Sprache der Bilder des Krieges zu dechiffrieren, die Interessengebundenheit der Bilder zu erkennen und sie in den politischen Kontext einzuordnen. Letzteres geht wohl nur befriedigend, wenn man eine durchdachte Gesellschaftstheorie, letztlich eine Philosophie sich angeeignet hat und weiß, was Imperialismus heute bedeutet. Die Position von Gerhard Paul ist in seinem Buch lediglich als humanistischer Pazifismus erkennbar. Dies ist aber mehr oder weniger belanglos, denn das Buch besticht durch die Fülle des Materials, der durchdachten Analyse und die Konzentration auf einen begrenztem historischen Zusammenhang. Der Autor geht zurecht von der These aus, „dass sich der moderne Krieg wie der postmoderne Krieg grundsätzlich der visuellen medialen Repräsentation entzieht, ja das Nicht-Darstellbare schlechthin ist“ (S. 13). Die von Interessen produzierte Katastrophe Krieg ist nur denen nachvollziehbar, die sie im Schlamassel erleben. Auch ist das „Kriegstheater“, wie schon Clausewitz wusste, nie völlig beherrschbar. Bilder aber verleihen dem Krieg eine Ordnungsstruktur, die er grundsätzlich nicht hat, insofern lügen sie auch da, wo sie nicht der Lüge wegen gemacht wurden. Dennoch vermitteln sie eine Vorstellung vom Krieg, die aber nur der entschlüsseln kann, dem das ideologische Moment der Bilder auch bewusst ist, wo sie keine verzerrte Wirklichkeit darstellen wollen.

  Wenn Bilder für jede Art politischen Engagements notwendig sind und nicht nur als Manipulationsmittel fungieren, dann ist es Pflicht aufgeklärter Zeitgenossen, sich mit  dem politischen Medium Bild zu befassen. Da Paul dieses Buch als zehntes Kapitel seines Hauptwerkes über den „Krieg der Bilder“ seit Beginn der Fotografie ansieht, geht sein historisch geschärfter Blick ein. Gerade für alternative Zeitungs- und Medienmacher ist es ein Muss, dieses Buch (oder sein Hauptwerk) zu studieren. 

Cover des Buches Die Absicht des Autors - Was ist Krieg der Bilder?

 Der Historiker und Sozialwissenschaftler Gerhard Paul untersucht „erstmals und umfassend die visuelle Rüstungsspirale des Irak-Krieges, die in den Hinrichtungsvideos sowie den Horrorbildern aus Abu Ghraib und Falludscha gipfelte“ (Umschlag). Er zeigt die Militarisierung der Medien auf und erklärt die Funktion der Bilder als Waffen. „Die Darstellung verbindet Systematik und Chronologie; sie ist keine einfache Nacherzählung des Geschehenen. Im Mittelpunkt stehen drei große Fragenkomplexe: Wie wirkten sich die neuen Bedingungen einer globalisierten, asymmetrischen und digitalisierten Kriegsführung und Berichterstattung auf das dem Publikum vermittelte Bild des Krieges aus?“ (S. 12) Der Autor will die Wirkung der Bilder reflektieren, den Zusammenhang der äußeren Bilder mit den inneren Bildern im Publikum aufzeigen, das Narrative und die Ikonografie der Bilder in ihrem medialen Umfeld und das Verhältnis von Propaganda und Journalismus untersuchen. Diese mehr systematischen Fragen werden vom Autor an Hand der Eskalation des Krieges der Bilder beantwortet. Sowohl  die Bildstrategien der angloamerikanischen Militärmacht wie die der irakischen Regierung bzw. später der Widerstandsgruppen werden in ihrer Interaktion analysiert. Heraus kommt ein Kaleidoskop heutiger Bildverwendung und Manipulationsstrategien mittels Bilder. Er kommt zu dem Schluss, dass Bilder nicht nur Medien der Dokumentation und Manipulation sind, sondern auch Waffen im Kampf.

 Krieg als Entertainment

 Der Irak-Krieg als Bilderkrieg wurde von den US-Amerikanern schon vor den eigentlichen Kriegshandlungen strategisch geplant. Selbst das Innere des Headquarter in Katar wurde durch einen Hollywood-Designer gestaltet. Sie wollten die Fehler der letzten Kriege nicht wiederholen, wo das heimische Fernsehpublikum den Krieg nur durch technische Bilder aus Flugzeugen und Raketen erlebte. Von dem eigentlichen Krieg am Boden aber hatten die Zuschauer kaum etwas gesehen, weil keine Reporter anwesend sein durften. Die neue US-Strategie bestand darin, die Weltöffentlichkeit mit einer Flut von Bildern zu überschütten. Ihr Konzept waren die „embedded correspondents“. Über 600 Journalisten, darunter 30 deutsche, wurden in die kämpfenden Einheiten integriert. Ihre Berichte erwiesen sich aber mehr oder weniger als nichts sagend. Obwohl sie unzensiert berichteten, lieferte sie nur nichts sagende Genrebilder oder veranstalteten Reality-Shows. Von tatsächlichen Kampfhandlungen wurden sie fern gehalten. Viele Regeln beschränkten ihre Informationsfreiheit und beim Zusammenleben mit den Soldaten entstanden Sympathien, die auch die Perspektive ihrer Bilder bestimmten, von der inneren Zensur ganz zu schweigen. Selbst Soldier Artists brachte die Armee mit, sie sollten Heldenbilder von den Kämpfenden produzieren. Die Live-Berichte dienten mehr der Entertainisierung des Krieges, als dass gehaltvolle Informationen geliefert worden wären.

 Ähnlich erging es den Journalisten, die in Bagdad in ihren Hotels geblieben waren. Sie konnten nur die Schönheit der Explosionen filmen, die von den Amerikanern mediengerecht für die Perspektive der Hotelfenster in der Dunkelheit serviert wurden. So erschien die Invasion zunächst als Show: als „gigantisches Feuerwerk“, als Aktionsfilm: fahrende Panzer im Wüstensand. Obwohl das irakische Fernsehen dagegen hielt mit Bildern von getöteten und verwundeten Zivilisten, Frauen und Kindern meist, ist Paul der Meinung, dass die Amerikaner die erste Runde im Krieg der Bilder gewonnen hatten.

 Die Wirkung der Bildpropaganda

 Die Folgen der bildlich erzeugten Verblendung, den viele Medien aufsaßen, war nach Gerhard Paul nicht zuerst die Wahrheit, wie das bekannte Wort sagt, sondern als erstes Opfer nennt er die Zerstörung der Wahrnehmung. „Das erste Opfer ist vielmehr die menschliche Fähigkeit, die Realität in Kriegszeiten wahrzunehmen. Diesseits und jenseits der Fronten des Irak-Krieges bestand von vornherein ein massives Interesse daran, durch wohl überlegte Inszenierungen und ein ‚perception management’ diese Fähigkeit einzuschränken und die Perspektiven des globalen Publikums auf den Krieg zu beherrschen. Der postmoderne Krieg ist daher vor allem ein Anschlag auf die Wahrnehmung, primär auf die visuelle Wahrnehmung.“ (S. 47)

 Krieg erscheint ästhetisiert, als Feuerwerksästhetik, als Event, als Entertainment, als inszeniertes Heldenepos einer Befreiung der Soldatin Lynn, erschreckend schöne Totalansichten herrschten vor. Krieg gibt sich als chirurgische saubere Aktion. Zu diesem Zeitpunkt kommen die „Bildstörungen“ etwa des Senders Al Dschasira, welche die Brutalitäten des Krieges versucht zu zeigen, noch nicht an. Der Vormarsch der Amerikaner erscheint als „Sportifizierung der Kriegsberichterstattung“ (S. 55), in denen sich das Publikum mit den Siegern identifizieren soll. Und immer erscheinen die Bilder in vertrauten Formen, bekannten Ikonen, erwecken „human interest“, es gilt die Regel: „No dead bodies!“ Am Ende schwebt Bush Jr. wie ein Erlöser auf einen Flugzeugträger ein und verkündet das Ende der unmittelbaren Kampfhandlungen – zu früh, wie sich zeigt.

„Bildstörungen“

 Gerhard Paul definiert den modernen Krieg der letzten Jahrzehnte als asymmetrischen Krieg. Durch die neue Technik der Digitalfotografie und des World Wide Web kann auch der Schwächere mit wenig Aufwand große Wirkung erzielen. In einer pluralen und globalen Medienwelt trifft man immer auch auf Gegenbilder, die Warblogs in den USA und die alten europäischen Länder, die nicht am Krieg teilnehmen, setzten zunehmend auf „Gegenbilder“ zur verharmlosenden Ästhetik der Bilder, die von den Amerikanern gesteuert wurden. Beispiele sind der kleine Junge, dem beide Arme amputiert werden mussten, weil er von Bomben getroffen wurde, oder Bilder von Toten und die Särge gefallener Marines. Bilder „treffen immer auch auf Gegenbilder oder mobilisieren ältere, im psychischen Haushalt der Menschen tief verankerte, mitunter sogar archaische innere Bilder, vor deren Hintergrund sie wahrgenommen und interpretiert werden. Ihre Aussagekraft und Bedeutung erhalten und entfalten sie – wie einst die Fotografien aus My Lai – zudem immer erst in einem bestimmten politischen Kommunikationszusammenhang.“ (S. 111) 

 Gerade in Europa wecken Bombardements Erinnerungen an Guernica, Coventry und Dresden. Die Bildstörungen durch Bilder aus der Perspektive der Opfer konterkarieren die Bildbotschaften vom aseptischen Krieg der Allianz. Auch die Gegenbilder können zwar kein wahres Bild des Krieges zeigen, indem sie aber die positive Ästhetisierung des Krieges stören und kritisieren, sind sie eine notwendige Voraussetzung, das wahre Grauen wenigstens denken zu können. Die Gräuel des Krieges anzudeuten, gehörte immer schon zur Propaganda. Dass die US-Führung den Krieg fast nur als etwas Positives hinstellten, war insofern schon ein Propagandafehler. Die Gegenbilder hatten es insofern leicht, die amerikanische Propaganda als Schein zu entlarven. Andererseits waren die Gegenbilder nicht nur vom Aufklärungsgedanken geprägt, sondern drückten ebenfalls Interessen aus und bedienten Vorstellungsschemata der arabischen Welt. Im Einzelnen kann man dies bei Paul nachlesen.

 Für die Gedanken einer Gegenöffentlichkeit in der BRD kann man lernen, dass die Wahrheit in Textform nicht ausreicht, um „die Massen zu ergreifen“. Gegenbilder zur vorherrschenden Ästhetik und Information sind notwendige Bedingung für eine nicht manipulierte Öffentlichkeit, auch wenn Bilder als solche nicht zur Aufklärung hinreichend sind. Darüber, dass im Gefängnis Abu Ghraib gefoltert wird, lagen über Amnesty International und das Rote Kreuz schon vor den bekannten Bildern Informationen vor. Erst die Veröffentlichung der Folterbilder, Paul geht vor allem auf Lynndie England mit den Gefangenen am Hundehalsband und den gekreuzigten Kapuzenmann ein, stellt plötzlich eine massenhafte Öffentlichkeit und Empörung her.

 Die Eskalation des Krieges der Bilder

 „In den neuen asymmetrischen Kriegen der Gegenwart werden Bilder immer häufiger zu Waffen, die unmittelbar auf den politischen Willen des militärisch übermächtigen Gegners gerichtet sind. Ihr Ziel ist nicht so sehr der militärische Apparat, sondern die Öffentlichkeit der Gegenseite, die demoralisiert werden soll. Der Kampf mit Waffen, so Herfried Münkler, werde ‚zunehmend durch den Kampf mit Bildern konterkariert’. Vor allem auf der Seite der militärisch unterlegenen Kriegspartei fungierte der Kampf mit Waffen oftmals nur mehr als ‚Antriebsrad für den eigentlichen Kampf mit Bildern’. (S. 158)  Das Bild ist nicht mehr nur Medium und Dokument, sondern eine eigenständige Waffe. Den Bildern von Kriegstoten Amerikanern folgte die Zurschaustellung der toten Hussein-Söhne durch die Besatzer, den Folterbildern von Abu Ghraib folgten Bilder von der Hinrichtung von Geiseln. Die Bilder des irakischen Widerstandes werden zu „kompensatorischen Waffen im asymmetrisch gewordenen Krieg“ (S. 164)  Die Steigerung in der Brutalität der Bilder wurde in den Videosequenzen erreicht, in der Geiseln hingerichtet werden. Diese Schockbilder erfüllen dem Autor nach einen doppelten Zweck: Sie zeigen innerhalb der islamistischen Kreise die Effizienz des praktizierten Terrors und wirken mobilisierend; gegenüber den westlichen Ländern sollen sie abschrecken und die Besatzungsmacht drängen, das Land zu verlassen („Mogadischu-Effekt“). Paul zitiert Bernd Pickert: „Wie beim Snuff Porno, der den realen Mord eines Opfers zeigt und zu hohen Preisen illegal gehandelt wird, musste Nicholas Berg nur sterben, damit sein Tod gefilmt werden konnte. Der Schock, der den Betrachtenden ergreift, ist das Motiv für die Tat. Die Kamera, die die Bilder aufnimmt, gehört zum Tatwerkzeug wie das Messer, das den Kopf abschneidet. Wer die Bilder zeigt, wird zwangsläufig zum Instrument der Täter.“ (S. 179) 

 Die Moral der Journalisten im Krieg

 Die Journalisten in den bürgerlichen Medien dienen per se partikularen Interessen, die der Mehrheit der Menschen schaden, allein durch die Struktur ihres prokapitalistischen Mediums  (vgl. unseren Essay: Pressefreiheit?). Insofern ist ihr Handeln unmoralisch. Innerhalb dieses Journalismus gibt es aber selbst noch einmal Moralregeln, die seriösen bürgerlichen Journalismus von offener Propaganda und Sensationsjournalismus unterscheiden. Während sich die Bildzeitung für die Veröffentlichung von Hinrichtungsfotos entschied, weil solche Sensationsfotos die Auflage erhöhen, also Kasse machen, rügte der Presserat dieses Blatt ob seines Tuns. Für Gerhard Paul scheint die Moralregel klar zu sein: „Wer die Bilder zeigt, wird zwangsläufig zum Instrument der Täter.“ (S. 179)  Er geht von der Vorstellung eines Journalisten aus, der objektiv und umfassend die Öffentlichkeit informieren will. Für diesen sollte gelten:

-         keine Symbiose der Journalisten mit dem Terrorismus oder der Militärpropaganda

-         Gegenüber den Kombattanten ist eine gewisse Distanz und journalistische Zurückhaltung notwendig (vor allem für „embedded correspondents“).

-         Journalistisches Handeln erfordert Selbstkontrolle und Verantwortungsbewusstsein.

-         Richtigkeit geht vor Schnelligkeit

-         Selbstreflexion des eigenen Tuns

-         keine bildliche Ästhetisierung des Krieges, sondern zurückhaltender Realismus, der sich der Wahrheit annähert

 Dass diese moralischen Regeln eine Voraussetzung der Wahrheit sind, ist ebenso klar wie das Ergebnis der Analyse von Paul, die zeigt, dass sich nur wenige an diese Regeln halten.

 Tröstlich ist da nur eine weitere negative Eigenschaft der westlichen Öffentlichkeit: Nachdem ihre Sensationslust befriedigt ist, wendet sie sich ab. So interessiert heute dem Massenpublikum im Westen kein abgetrennter Kopf von Geiseln mehr. Nach solchen Bildern ist zur Zeit kein Bedarf.

Zurück zum Anfang

Divider

Hier können Sie Ihre Meinung äußern,
         einen Beitrag in unser Gästebuch fomulieren,
              Kritik üben oder
                    mit uns Konrakt aufnehmen...

Geben Sie uns Ihre Meinung

 

 

 

 

 

 

Impressum

Copyright © Alle Rechte liegen bei den Erinnyen. Näheres siehe Impressum.
Datum der letzten Korrektur: 25.09.2008